Verba Dierum II

Todesstrafe im Katechismus der Katholischen Kirche

Dienstag, 11. Oktober 2022

«Quapropter Ecclesia, sub Evangelii luce, docet “poenam capitalem non posse admitti quippe quae repugnet inviolabili personae humanae dignitati” – Deshalb lehrt die Kirche im Licht des Evangeliums, daß „die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt“».
So ist seit Mai 2018 im Katechismus der Katholischen Kirche zu lehren. Die hier zitierte „Lehre der Kirche“ ist nichts anderes als ein Zitat aus einer Ansprache, die Papst Franziskus I. heute vor fünf Jahren gehalten hat.
Es ist schwierig, dieser Neuformulierung des Paragraphen 2267. des KKK zu widersprechen, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, es solle die Todesstrafe befürwortet werden. Nun aber, nach fünf Jahren, sei es unternommen.

Mittwoch, 11. Oktober 2017 – Freitag, 11. Mai 2018

Dogmenverkündigung auf kaltem Weg?

«Niemandem darf daher nicht nur das Leben, sondern damit auch die Möglichkeit einer moralischen und existenziellen Umkehr verwehrt werden, damit er zum Wohle der Gemeinschaft umkehrt», sagte Papst Franziskus I. in seiner Ansprache zum 25. Jahrestag der Veröffentlichung des Katechismus der Katholischen Kirche am 11. Oktober 2017. Das ist ein klares geistliches Argument gegen die Todesstrafe; einige Stellen aus der Schrift können angeführt werden, die das unterstützen: (Elberfelder Bibel:) Sollte ich wirklich Gefallen haben am Tod des Gottlosen, spricht der Herr, HERR, nicht (vielmehr) daran, daß er von seinen Wegen umkehrt und lebt? (Ez. 18,23) – .. Gott, welcher will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. (I. Tim. 2, 3. 4) – Der Herr ... ist langmütig euch gegenüber, da er nicht will, daß irgendwelche verlorengehen, sondern daß alle zur Buße kommen. (II. Petr. 3, 9)
Sonderbar ist nur, daß der Papst sagt: «damit er zum Wohle der Gemeinschaft umkehrt», und nicht, «damit er umkehre und gerettet werde», denn das ist das Anliegen der Kirche, unabhängig davon, ob der Schuldige noch «zum Wohle der Gemeinschaft» beitragen kann.
Doch so stark dieses Argument aus dem christlichen Denken und aus einigen Schriftstellen auch ist, um zur gültigen Lehre zu werden, bedürfte es theologischer Untermauerung. Solche Untermauerung aber zeigt der Papst nicht auf; und im neuen Text des KKK wird auf dieses Argument nur am Rande einmal verwiesen.
Hier aber erscheint ein anderes Argument: «Denique rationes efficientioris custodiae excogitatae sunt quae in tuto collocent debitam civium defensionem, verum nullo modo imminuant reorum potestatem sui ipsius redimendi. – Schließlich wurden wirksamere Haftsysteme entwickelt, welche die pflichtgemäße Verteidigung der Bürger garantieren, zugleich aber dem Täter nicht endgültig die Möglichkeit der Besserung nehmen.» Wenn auch unklar ist, was «rationes efficientioris custodiae» sein mögen – auch in alter Zeit gab es sehr wirksame Haftsysteme –, tatsächlich hat sich gezeigt, daß der moderne Staat ebensoviel öffentliche Sicherheit ohne die Todesstrafe gewährleisten kann wie mit ihr. Dieses Argument nun bestätigt auch der heilige Thomas, wenn er auch eigentlich für die Todesstrafe spricht (S. Th. IIa IIæ q. LXIV, art. 2 sub Respondeo): «.. si aliquis homo sit periculosus communitati et corruptivus ipsius propter aliquod peccatum, laudabiliter et salubriter occiditur, ut bonum commune conservetur – wenn irgendein Mensch gefährlich für die Gemeinschaft ist und verderblich für sie wegen irgendeiner Sünde, so wird er löblicherweise und nutzbringend getötet, damit das Gemeinwohl bewahrt werde.» Das heißt, daß, wo das Gemeinwohl ebensosehr ohne die Todesstrafe bewahrt werden kann wie mit ihr, die Todesstrafe nicht erlaubt ist. Allerdings geht es nicht nur darum, die Öffentlichkeit vor neuen Verbrechen des Täters zu bewahren, sondern die Haft ist zudem so zu gestalten, daß andere, Mithäftlinge etwa, vor seinem etwaigen schlechten Einfluß geschützt sind: «modicum enim fermentum totam massam corrumpit, ut dicitur I ad Cor. V – ein wenig Gärmittel nämlich verdirbt den ganzen Teig, wie in I. Kor. 5 gesagt ist», so fährt der heilige Thomas fort.
Darum könnte die Ablehnung der Todesstrafe etwa so formuliert werden:
Es hat sich gezeigt, daß im modernen Staat die pflichtgemäße Verteidigung der Bürger ebensosehr ohne die Todesstrafe garantiert werden kann wie mit ihr. Da sie somit nicht dazu beiträgt, das Gemeinwohl bewahren, ist es unter diesen Gegebenheiten nicht zu rechtfertigen, einen Menschen zur Strafe zu töten; statt dessen gilt es, sein Leben zu bewahren, damit er umkehre und seine Seele gerettet werde.
Natürlich wäre dies keine absolute Lehre der Kirche, sondern sie hinge ab von den Erkenntnissen der säkularen Wissenschaft. Aber solche Erkenntnisse können durchaus moralisch verbindlich sein. Daß etwa chirurgische Instrumente sterilisiert werden müssen, ist eine rein weltliche Erkenntnis; nichtsdestoweniger aber lüde ein Chirurg, der sie nicht beachtet, schwere Schuld auf sich.
Allerdings unterliegt solche Erkenntnis der Beurteilung durch die weltliche Wissenschaft, kann nicht kirchlich festgeschrieben werden.
Doch argumentiert der neue Paragraph ganz anders: daß nämlich «die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt». Nun hat die Unantastbarkeit der Person ihre Grenzen; würde sie absolut gesetzt, so wäre auch Notwehr verboten. Und daß die Todesstrafe die Würde des Menschen verletzte, ist eine Ansicht, die schon längere Zeit in weltlichen Publikationen verbreitet ist, doch begründet ist sie nicht: der Würde des Menschen entspricht es durchaus, ihm die Verantwortung für sein Tun beizumessen.
«Wir stehen hier vor keinerlei Widerspruch zu früheren Lehraussagen, denn die Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod hat in der kirchlichen Lehre stets eine eindeutige und maßgebende Stimme gefunden», sagte Franziskus I. in jener Ansprache. Doch der Differenzierung der «Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens», wie sie etwa beim heiligen Thomas zu finden ist (es geht ja nicht nur um das Leben des Täters) stellt Franziskus I. nur «das veränderte Bewußtsein im Volke Gottes» gegenüber – dieses Argument nun droht dem Zeitgeist Tür und Tor zu öffnen. Das Glaubenswissen des gläubigen Volkes ist ein hohes Gut der Kirche; doch seine Aufgabe ist, zu bewahren, was ihm überliefert ist (Jud. 3; II. Tim. 1, 13 f.). Einem Bewußtsein im Volk, das sich verändert, kommt keinerlei geistliche Autorität zu.
Unbehagen bereitet es, wenn Franziskus I. den heiligen Vinzenz von Lérins zitiert: «Aber vielleicht sagt jemand: Wird es also in der Kirche Christi keinen Fortschritt der Religion geben? Gewiß soll es einen geben, sogar einen recht großen. Denn wer wäre gegen die Menschen so neidisch und gegen Gott so feindselig, daß er das zu verhindern suchte?» (Commonitorium, 23.1: «Sed forsitan dicit aliquis : Nullusne ergo in ecclesia Christi profectus habebitur religionis? Habeatur plane et maximus. Nam quis ille est tam inuidus hominibus, tam exosus deo, qui istud prohibere conetur?») Er übergeht hier, wie der heilige Vinzenz fortfährt: «Sed ita tamen, ut uere profectus sit ille fidei, non permutatio. Siquidem ad profectum pertinet ut in semetipsum unaquaeque res amplificetur, ad permutationem uero ut aliquid ex alio in aliud transuertatur. Crescat igitur oportet et multum uehementerque proficiat tam singulorum quam omnium ... intellegentia scientia sapientia, sed in suo dumtaxat genere, in eodem scilicet dogmate, eodem sensu eademque sententia – Allein es muß in Wahrheit ein Fortschritt im Glauben sein, keine Veränderung. Zum Fortschritt gehört nämlich, daß etwas in sich selbst zunehme, zur Veränderung aber, daß etwas aus dem einen sich in ein anderes verwandle. Wachsen also und kräftig zunehmen soll sowohl bei den einzelnen als bei allen ... die Einsicht, das Wissen und die Weisheit, aber lediglich in der eigenen Art, nämlich in derselben Lehre, in demselben Sinne und in derselben Bedeutung.»
Schwerwiegend ist auch, daß, während er die Lehre vom Verbot der Todesstrafe einem «veränderten Bewußtsein im Volke Gottes» zuschreibt, er nichtsdestoweniger dem Kirchenstaat früherer Zeiten vorwirft, daß dieser «auf dieses extreme und unmenschliche Mittel zurückgegriffen» hat. Und wenn er dann weiter sagt: «Die Sorge um Machterhalt und materiellen Reichtum haben zu einer Überbewertung des Gesetzes geführt und ein tiefes Verständnis des Evangeliums verhindert», so ist das eine Verunglimpfung der seinerzeit Verantwortlichen, der Päpste nämlich, seiner Vorgänger.

Man kann den Kampf gegen die Todesstrafe, die Papst Franziskus führt, begrüßen. Nicht zuträglich aber sind die Formulierungen, mit denen er diesen Kampf führt. Und solche Formulierungen, welche nur im persönlichen Ermessen begründet sind, sind nicht mit dem Anspruch vereinbar, den der offizielle Katechismus der Katholischen Kirche erhebt.

W.H.W

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