Was ist eigentlich abendländisch?

Was ist eigentlich abendländisch?

 • [ Proœmium ]
 • Was uns unterscheidet von ... •

ΜΩΡΙΑΣ ΘΡΙΑΜΒΟΣ

 • Der Triumphzug der Dummheit •
E&E 20 S.34-35 2015 
Wilfried Hasselberg-Weyandt

Was ist eigentlich abendländisch?

[ Proœmium ]

«Unser Ziel ist, die abendländische Kultur zu bewahren und zu fördern», erklärt die «Interessengemeinschaft Abendland». Nur: was ist das? Sicher, über Liturgie, Musik und kirchliches Leben haben wir uns schon ausgiebigst verbreitet. Aber die Kultur beschränkt sich ja nicht auf diese – freilich herausragend wichtigen – Bereiche. Darum will ich hier einige andere Bereiche kurz in den Blick nehmen.
Zunächst: unser Abendland. Seit Herodot zumindest sieht man den Gegensatz von Europa und Asien; demnach sollte man auch Griechenland zum Abendland zählen. Doch hier geht es um das lateinisch geprägte, sozusagen das abendländische Abendland, diesseits der Kulturgrenze, die Litauer und Polen von Russen und Ruthenen, Ungarn von Rumänen, Kroaten von Serben, Gegen von Tosken, Italiener von Griechen trennt.
Es ist keineswegs eine Eigenheit der abendländischen Kultur, Einflüsse von außen zu meiden. Der Beitrag des Morgenlandes, der Beitrag Griechenlands zu unserer Kultur ist ja grundlegend; Papier und Nudeln kommen aus China, die arabischen Ziffern aus Indien. Auch in Restaurants mit exotischer Küche, vom Syrer bis zum Japaner, essen zu gehen ist Teil der neuzeitlichen abendländischen Kultur.
Andererseits ist nicht alles gut, was abendländisch ist. Sklaverei war in der antiken Kultur normal, Leibeigenschaft wurde es im Mittelalter – niemand (so hoffe ich) wird sich solches zurückwünschen.
Also: exotische Einflüsse sind willkommen, manche abendländischen «Kulturgüter» unerwünscht, unerfreulich – was ist da das Abendländische, das wir «bewahren und fördern» wollen?
Vor allem ist es natürlich das Christentum, sodann die abendländische Philosophie, die schon seit zweieinhalb Jahrtausenden ihren Kampf gegen die Hydra der Dummheit führt (ein Kampf, der in den letzten vier Jahrhunderten so sehr erschlafft ist12). Und es ist die abendländische Kunst – eine Kunst, deren Kern sakral ist, so die geistliche Musik von der Gregorianik bis zur Polyphonie der Renaissance und des Barock.
Doch hier soll die Rede sein von der abendländischen Kultur des Alltags und von dem, wovon sie angegriffen wird.
Wogegen wir uns wenden, ist all das, was unsere Kultur banalisiert, Güter unserer Kultur durch geringwertige Surrogate ersetzt. Wir haben uns gegen all das zu wehren, was mit Vorsilben wie «pop-», «soft-», «fast-», «light-», «junk-», «easy-» beginnt.
Und, da wir gerade die Ein-Silben-Grenze überschritten haben ...

12 W.H.W: Triumphus stultitiae / Der Triumphzug der Dummheit; E&E 17 (2012), S. 20-38

Orietur Occidens

E&E 22 S.47-50 2017 
Wilfried Hasselberg-Weyandt

Was ist eigentlich abendländisch?
Was uns unterscheidet von ...

Zur Bewahrung und Förderung der abendländischen Kultur hat sich bald nach der letzten Jahrtausendwende die Sodalitas Orietur Occidens zusammengeschlossen. Gut ein Jahrzehnt danach tauchte plötzlich der Begriff Abendland von ganz anderer Seite auf: „Patrioten“ wenden sich gegen eine „Islamisierung des Abendlandes“.
Nun wünscht sich in der Tat kein abendländischer Mensch eine Islamisierung des Abendlandes. Doch denkt er an die großen Worte des Fürsten Clemens v. Metternich, die er so umformulieren darf: Niemand «hat Schultern stark genug, um das Abendland davonzutragen. Verschwindet das Abendland, so geschieht es, weil es sich selbst aufgibt.»
Was nun unterscheidet den wirklichen Abendländer vom vorgeblichen?
Dreierlei:
1. der Blick auf die Wirklichkeit;
2. der christliche Glaube;
3. die Bildung.

1. Der Blick auf die Wirklichkeit

So viele Muslimûn auch mittlerweile in unserem Land leben: daß es islamisiert würde, kann ich nicht feststellen. Auch in Deutschlands Fernem Osten höre ich oft noch Kirchenglocken, aber keinen Ruf eines Mu’eddhins. Sicherlich beschädigen Terrorgruppen unter der Fahne des Islâm den Frieden in unserem Land und in vielen anderen Ländern – und ganz besonders in islamischen Ländern. Aber die abendländische Kultur vermögen sie nicht zu beschädigen.
Was unsere Kultur bedroht, das ist der Marktliberalismus mit seinen Kultursurrogaten (die gerne Vorsilben mit sich tragen wie «pop-», «soft-», «fast-», «light-» oder «junk-»)1; das ist die Politische Korrektheit mit ihrer Verbindung von Denkabstinenz, Bildungsmangel und Hysterie; das ist eine Gabelhäppchenspiritualität, die sich oft für buddhistisch hält: «Sie picken sich etwas aus dem Buddhismus, dem Hinduismus und von hier und da heraus», so der Dalai Lama, der es da vorgezogen hat, die Menschen des Westens aufzufordern, ihre eigenen Traditionen zu bewahren2.
Doch höre ich sehr viel öfter von Deutschen, die „Buddhistische Zentren“, als von solchen, die Moscheen frequentieren.

2. Der christliche Glaube

Natürlich wird ein Christ sich nicht einlassen auf Kalauer wie «Kein Mensch ist illegal» – in der Tat ist kein Mensch illegal, illegal sein kann aber sein Aufenthalt an einem Ort; der Staat hat die Aufgabe, fürs Gemeinwohl zu sorgen, auch indem er die Zuwanderung regelt.
Aber er weiß auch um die moralische Pflicht, Menschen in Not zu helfen, und das heißt auch, ungerecht verfolgten Menschen, die einen Ort suchen, wo sie friedlich leben können, solange die Verfolgung währt, Zuflucht zu geben, das heißt, politisch ausgedrückt, Asyl zu gewähren. Wenn er auch um die Schwierigkeit weiß, zu unterscheiden, was wirkliche, was vorgeschobene Verfolgung ist, so weiß er dank dem heiligen Benedikt auch, daß die discretio eine christliche Tugend ist, so wird er doch das Asylrecht nicht einfach aufheben wollen.
Und er weiß, daß Ausländer, die ins Land gekommen sind, menschlich zu behandeln sind. Dreimal fordert das Gesetz des Moses das Volk Israel auf, die Fremden nicht zu unterdrücken (Exod. 22.21 [20]; 23.9), sie zu lieben (Deut. 10.19); es wird jedesmal begründet mit «denn Fremde seid ihr gewesen im Lande Ägypten» – das Volk Israel und später ebenso die heilige Familie.
Auch weiß der Christ, daß der Islâm nicht zu Deutschland gehört – wohl haben im Mittelalter islamische Länder die abendländische Kultur sehr bereichert, aber nicht mit ihrer Religion, sondern mit ihrer Kultur. Avicenna (Ibn Sînâ), Avicedron (Ibn Gabirôl) und Averroës (Ibn Ruschd) sind fürs Abendland bedeutende Namen, aber nicht durch ihre Religion – Avicedron war Jude, was allerdings damals im Abendland nicht bekannt war –, sondern dank ihrer Philosophie, die sie von der griechischen und orientalischen Antike geerbt und – durchaus! – weiterentwickelt haben. Gerbert von Aurillac, später Papst Silvester II., der bedeutendste abendländische Gelehrte des X. Jahrhundert, hatte an arabischen Universitäten in Spanien studiert.
Doch wird er deswegen die Muslimîn nicht fernhalten, sondern zum wahren Glauben bekehren wollen. Wie schwer christliche Mission in islamischen Ländern ist, ist bekannt; so ist er dankbar, daß Muslimûn hierher kommen, wo Mission möglich ist – und tatsächlich bekehren sich ja etliche.

3. Die Bildung

Der Abendländer weiß, daß es eine Tradition der Gewalt im Islâm gibt, er weiß vom „Schwertvers“ (Sûre 9, 5); er weiß auch, daß wir „Schriftbesitzer“ nicht mit den „mušrikîn – Ungläubigen“ gemeint sind – was freilich nur ein sehr begrenzter Trost ist und was zudem nicht alle Muslimûn wahrhaben wollen. Aber er weiß auch, daß es gläubige Muslimîn gibt, die Gewalt gegen Andersgläubige ablehnen.
So weiß er von ‘Abd el-Qâder (etwa aus Karl May).
‘Abd el-Qâder gehörte einem Sûfî-Orden an; in einer Abhandlung versuchte er, die Wahrheit des Islâm und die Berechtigung der Scharî‘a durch die Vernunft zu beweisen. Als Frankreich Algerien eroberte, stand er an der Spitze des bewaffneten Widerstands; er wurde zum algerischen Freiheitshelden. Doch schließlich mußte er doch ins Exil gehen.
Als er im Exil in Damaskus war, setzten dort anno 1860 Massaker an Christen ein, die vom türkischen Pascha geduldet wurden. ‘Abd el-Qâder trat unter eigener Lebensgefahr für die Christen ein, erreichte, daß mehr als die Hälfte der Christen gerettet wurde. Es endete damit, daß er, der Muslim, vom Papst einen Orden und er, der Freiheitskämpfer gegen die Kolonialmacht Frankreich, von Napoleon III. das Großkreuz der Ehrenlegion erhielt.
Die „Identitären“ suchen den Anschein zu erwecken, der abendländischen Kultur verbunden zu sein. Als Emblem führen sie ein Lambda. Angeblich sei das das Wappen der Spartaner, der Lakedämonier, gewesen, als sie den Engpaß der Thermopylen gegen die Übermacht der Perser verteidigten.
In Wirklichkeit wurde dieses Wappen erst 1998 erfunden, nicht im Abendland, sondern in den USA: dort erschien es in der Graphic Novel „300“, 2006 wurde diese durch einen Hollywood-Film weiter verbreitet.
Der Abendländer weiß, wie die Geschichte weiterging: als der Spartanerkönig Leonidas die Thermopylen besetzt hielt, führte ein Grieche die Perser durch einen Nebenweg in den Rücken des Leonidas; der deckte noch den Rückzug des Großteils seiner Truppen und wurde dann mit seinen dreihundert Spartiaten und einigen Verbündeten niedergemacht. Doch unter der Führung des athenischen Strategen Themistokles siegten dann in der Seeschlacht bei Salamis die Griechen gegen die Übermacht, wodurch auch der spätere endgültige Sieg bei Platää ermöglicht wurde.
Themistokles wurde später durch die Willkür des athenischen Demos aus Athen verbannt. Als er auch im Exil im griechischen Argos vor athenischer Verfolgung nicht sicher war, floh er nach Persien, wo er Asyl fand. Er landete dort nicht in einem Asylantenheim, sondern wurde vom Großkönig als Lehnsherr von Magnesia eingesetzt.

1 W.H.W: Was ist eigentlich abendländisch? E&E 20 (2015), S. 34-48
2 Dalai Lama an den Westen: Macht aus dem Buddhismus keine Mode! http://www.kath.net/news/6152, 10. Oktober 2003

Orietur Occidens

E&E 17 S.20-29 2012 
Wilfried Hasselberg-Weyandt

ΜΩΡΙΑΣ ΘΡΙΑΜΒΟΣ – Triumphus stultitiae
Der Triumphzug der Dummheit

Es war im Frühjahr 1508, als Erasmus von Rotterdam, in bester Stimmung offensichtlich, sein Morías enkómion, seine Laus stultitiae schrieb und Thomas Morus zueignete. Darin preist sich die Dummheit selber an, in einem humanistischen Latein, in das willkürlich griechische Wendungen eingefügt sind.
Achtundzwanzig Jahre hatte Erasmus noch zu leben; hätte er wohl gegen Ende seines Lebens noch so unbefangen die Dummheit persifliert?
Später dann: naïver «Skeptizismus», Wirtschaftsliberalismus, Materialismus, «political correctness» – von all dem ahnte Erasmus nichts. Hätte er gar im ausgehenden XX., beginnenden XXI. Jahrhundert noch den Gleichmut bewahrt, so locker zu spotten?

Der Triumphzug der Dummheit sei hier in dreifacher Weise beklagt. An erster Stelle erscheinen Eindrücke von ihre Geschichte in jüngster Zeit; dann folgt ein Blick auf ihr Paradefeld, die Kommission. Am Schluß ist die Frage aufgeworfen, wie ein Atheist denken mag, dessen Unglaube nicht auf Dummheit gegründet ist. Darum steht dort ein Interview mit einem intelligenten Atheisten; gibt es denn einen solchen? – der Leser sehe selbst.

I. Verdummt das Volk?

Unter dem Titel «Kerzen, Kunsthandwerker und Chaoten»1 protokollierte Bernd Hettlage vor fünf Jahren «Das anonyme Bekenntnis eines Standbesitzers» vom Weihnachtsmarkt. Da ist zu lesen: «Dabei ist, Entschuldigung, das Niveau der Verkäufer und Verkäuferinnen im Schnitt weitaus höher als das der Kundschaft, und zwar in jeder Beziehung. ... Auch ihr [der Kunden] sprachliches Niveau sinkt von Jahr zu Jahr. „Guck mal, das Dingsda ...“. Immer mehr wissen einfachste Gegenstände nicht zu benennen. Wachs, Glas, Ton, Metall scheinen ihnen fremde Elemente zu sein. ... Auch Geschmacks- und Geruchsempfinden scheinen verwirrt zu sein, beziehungsweise Geschmäcke und Gerüche werden schlicht nicht mehr erkannt. Da wird Zimt für Vanille gehalten ...».
Vor einem Jahre interviewte Barbara Bollwahn unter der Überschrift «Märchen sind höchst aktuelle Utopien»2 zwei Märchenerzählerinnen, Nina Korn und deren Tochter Katja Popow.
«Was hat sich in den vielen Jahren, in denen Sie beide Märchen und Geschichten erzählen, am meisten verändert?» Katja Popow: «Das Sprachvermögen und das Vermögen, Deutsch zu verstehen, nimmt bei Kindern rapide ab. Wir stellen seit 20 Jahren einen unglaublichen Wortverlust bei Kindern und Jugendlichen fest. Ich muß in einer dritten oder vierten Klasse davon ausgehen, daß mich 70 Prozent nicht verstehen. Sie verstehen den Sinn der Worte nicht.» Nina Korn: «Ein Mädchen ... fragte mich, ob ich ihr sagen könne, was betrübt heißt.»
«Sprechen Sie von deutschen Kindern oder von Kindern aus türkischen, arabischen oder anderen nichtdeutschen Familien?» Nina Korn: «Von deutschen Kindern.»
Als ich im dritten Schuljahr war, war es selbstverständlich, daß wir fließend lesen und vorlesen konnten; im vierten Schuljahr hatten wir auch Fraktur zu lesen. Als ich aber in meiner mittleren Studienzeit einem jungen Hauptschullehrer bei einem Gespräch über Didaktik ganz locker sagte, letztlich lerne doch ein jeder lesen, widersprach er: seine Schüler könnten das nicht. Im Promotionsstudium war ich an Schulversuchen beteiligt, bei denen der eine Teil der Schüler in der Klasse Texte lesen und verstehen mußte (dem anderen Teil wurden Bilder vorgelegt). In dritten Klassen war der Versuch unmöglich, in vierten nur mit größter Einschränkung: die Kinder konnten kaum mehr lesen. Die Moría des Erasmus hätte es mittlerweile locker zur Klassenprima gebracht.
Im Promotionsstudium mußte ich noch einmal in einem Nebenfach, Pädagogik, eine Anfängervorlesung besuchen. Der Dozent bemühte sich, den Studenten den Unterschied zwischen stimmhaften und stimmlosen Konsonanten zu erklären – offensichtlich war das nötig: «Halten Sie die Hand an den Kehlkopf, während Sie den Konsonanten aussprechen! Wenn Sie es zittern fühlen, ist der Konsonant stimmhaft, sonst stimmlos.» Aber er hatte es auch schon erlebt, erzählte er, daß jemand seiner Anweisung folgte – «te-e-e-e-ee» – und daraufhin «t» für stimmhaft erklärte.
Verblödet das Volk, verblöden selbst die Studenten?
Das Angebot des Buchhandels spiegelt die Verdummung wieder.
Als Jugendlicher suchte ich eine indoeuropäische Grammatik. Die kleinstädtische Buchhändlerin wußte Bescheid: sie bestellte mir die «Indogermanische Sprachwissenschaft» von H. Krahe aus der Sammlung Göschen. Die Bände dieser Sammlung stammten alle von renommierten Wissenschaftlern, es gab sie zu einem sehr günstigen Preis. Aus dem Bereich der Sprachwissenschaft besitze ich mittlerweile auch noch – unter vielem andern – die «Germanische Sprachwissenschaft » von H. Krahe & W. Meid, die «Romanische» von H. Lausberg und die «Slavische» von H. Bräuer.
In alter Zeit – die Sammlung Göschen gab es seit 1889 – umfaßte die Sammlung noch eine «Semitische Sprachwissenschaft» von C. Brockelmann und eine «Finno-Ugrische» von J. Szinnyei (ich meine, einmal auch eine der Bantusprachen gesehen zu haben).
Nach 1970 wurde die Sammlung Göschen umgestaltet, die Hefte erhielten nun ein größeres Format; der Preis: nun fast das Doppelte eines früheren Dreifachbandes. Vor allem aber hörten sie auf, ein Angebot für interessierte Laien zu sein; es folgten nurmehr Bände mit sehr engem Thema für ein reines Fachpublikum. Die «Romanische» und die «Slavische Sprachwissenschaft» waren damals noch nicht vollendet; die «Romanische» wurde noch notdürftig zu Ende geführt (im letzten Teil, der Formenlehre, werden, anders als in der vorangehenden Lautlehre, fast nur noch die Schriftsprachen verglichen), die «Slavische» kam in der Formenlehre nicht mehr über die Substantive hinaus.
Mitte der neunziger Jahre wurde die Sammlung dann ganz eingestellt.
Heute werden vom Verlag die meisten dieser Bände angeboten, gebunden und als e-Buch. Damals kosteten die Hefte soviel wie normale Taschenbücher; der heutige Preis ist der 48fache des seinerzeitigen (allerdings nur broschierten) einfachen Bandes, der 30fache des Doppelbandes, der 22½fache des Dreifachbandes nach dem Stand von 1970. Daß der interessierte Laie sich daraus eine kleine Bibliothek zusammenstellt, ist somit nicht mehr möglich.
«Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen» heißt eine von Hans Lietzmann herausgegebene Reihe, deren Hefte nicht nur für Studenten eine Fundgrube waren, sondern auch für theologisch und altphilologisch interessierte Laien. Von Hans Lietzmann (& A. Adam) waren da «Liturgische Texte» zu finden, von der Didaché bis zu Theodor von Mopsvestia, die griechischen Texte im Original, die syrischen in deutscher Übersetzung, und Symbole der Alten Kirche, alle in der Originalsprache.
Die früheren preisgünstigen Hefte, die meisten zu einem einstelligen Preis, einige zu einem Pfennigbetrag, verschwanden bereits in den neunziger Jahren; heute sind sie leicht antiquarisch durchs Netz zu erhalten – damals waren sie das noch nicht.
Die meisten Hefte sind heute zwar in einer Neuausgabe erhältlich, jedoch, gebunden und als e-Buch, zum gleichen Preis wie die Göschen-Hefte; die Preissteigerung ist also entsprechend groß.
Ist der Wegfall dieser Reihen Symptom, verschwanden all diese Büchlein, weil die Zahl der Leser schwand? Oder fielen die Reihen betriebswirtschaftlichem Stumpfsinn zum Opfer? Jedenfalls: ihr Wegfall ist ein trefflicher Schritt zur Förderung der allgemeinen Ignoranz.
Vor einigen Jahren wurde der sogenannte «Bologna-Prozeß» in Gang gebracht, der seitdem den Studenten das Studium erschwert. Nun müssen diese Studenten den Ländern der «Europäischen Gemeinschaft» zuerst den Titel «bachelor» erlangen, um dann zum Erwerb eines vollwertigen Abschlusses als «master» zugelassen zu werden – oder auch nicht.
«Bachelor»? «Master»? Ungewöhnliche Ausdrücke – ist das etwa der Dialekt der Romagna? Nein, und es bedarf nur geringer Mühe, ihren wirklichen Ursprung zu erkennen: «bachelor» ist die englische Form von «baccalaureus», «master» die von «magister». Wir haben hier nichts anderes als in verfremdeter Form die seit annähernd einem Jahrtausend in Europa gebräuchlichen akademischen Grade. Wenn jemand die nicht kennt: der Grad eines Magisters war einige Jahrzehnte zuvor in Deutschland wiederbelebt worden, den des Bakkalaureus kennt der deutsche Bildungsbürger zumindest aus Goethes Faust (Der Tragödie II. Teil, II. Akt – «Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist»). Zudem wird er sich daran erinnern, daß der französische Abiturient den Titel «bachelier» erhält.
Daß Politiker ahnungslos sind, sinnlos Anglizismen dort einführen, wo entsprechende Wörter seit alters her bekannt sind, wird niemanden verwundern. Doch auch führende Leute der Universitäten, Rektoren etwa, haben sich für diese Reform engagiert.
Nicht nur das Volk verdummt, auch die Elite der Universitäten beteiligt sich am Triumphzug der Dummheit. Und da es ihnen mittlerweile an der Fähigkeit gebricht, mit sinnlos eingestreuten griechischen Floskeln zu prunken, begnügen sie sich heute mit der Flughafen-Sprache Englisch.
Sonderbarerweise hat allerdings die Verkürzung des Buchangebots – die «Semitische», die «Finno-Ugrische Sprachwissenschaft» – schon vor unserer Zeit eingesetzt, ein nur schwer erklärbares Phänomen.
Aber wie hätte ein Humanist der Renaissance über uns gedacht, wenn er in seinem pretiösen Latein mit uns geplaudert hätte? wie ein Gelehrter des Mittelalters, wenn er, das aristotelische Organum selbstverständlich sicher beherrschend, mit uns disputiert hätte?
Diese Fragen lassen sich glücklicherweise nicht mehr beantworten.

II. Das Wunder der Kommission

Immer wieder erleben wir das: irgendetwas muß ganz neu gemacht, geregelt, geordnet werden. Man beruft dazu eine Kommission ein, diese wird mit erstrangigen Fachleuten besetzt, die gern auch gut honoriert werden. Oft vergeht dann ziemlich viel Zeit, gibt es aufwendige Sitzungen, und schließlich wird deren Werk der Öffentlichkeit vorgelegt.
Und da erleben wir mit großer Regelmäßigkeit das, was ich «das Wunder der Kommission» nenne: es werden, mit großem Anspruch, Ergebnisse vorgelegt, wie man sie einem Anfänger auf dem Gebiet schwerlich durchgehen ließe.

Die «Loccumer Richtlinien»

In den sechziger Jahren wurde beschlossen, eine für katholische und protestantische deutsche Bibelübersetzungen gemeinsame Umschrift der Eigennamen einzuführen. So entstanden 1967 die «Loccumer Richtlinien».
Das Problem war zuvor, daß katholischerseits die Umschrift der griechisch-lateinischen Schreibung entsprach, protestantischerseits (grosso modo) es zwei Arten der Umschrift gibt: im Neuen Testament und den Makkabäerbüchern wird es ebenso gehalten wie in den katholischen Übersetzungen, im übrigen Alten Testament aber wird eine Umschrift des Hebräischen nach deutscher Schreibgewohnheit verwendet. Das Hebräisch, das die protestantischen Übersetzungen wiedergeben, ist jünger als das aus der Zeit des Neuen Testaments; darum heißt der Name, der im NT noch als «Mariam» und gekürzt als «Maria» erscheint, im protestantischen AT entsprechend späterer Aussprache «Mirjam».
Auffällig ist der Unterschied der Umschriften beim Z: in katholischer Schreibweise und im protestantischen NT wird dieser Buchstabe für stimmhaftes S verwendet, was auch schriftgeschichtlich richtig ist – das griechische Zeta und lateinische Z entspricht dem hebräischen Zain –; im protestantischen AT wird er statt dessen für emphatisches S verwendet, weil unter Juden, die nicht semitischer Muttersprache sind, Sade wie deutsches Z ausgesprochen zu werden pflegt. So kommt es, daß der gleiche Name in protestantischen Bibeln im Alten Testament «Sacharja», im Neuen «Zacharias» geschrieben wird.
Daß die Loccumer Richtlinien im wesentlichen dem protestantischen Gebrauch entsprachen, obwohl alles – die Einheit zwischen AT und NT, der der biblischen Zeit nähere Stand der Sprache, die internationale Vergleichbarkeit – für den katholischen sprach, ist nun keine Folge von Dummheit, sondern beabsichtigt: die katholische Fraktion der Bibelwissenschaftler wartete nur darauf, sich über den Tisch ziehen zu lassen, die protestantische wollte ihren Sieg auskosten.
Dummheit zeigt sich jedoch in den kleinen Konzessionen an die katholische Seite:
Als alttestamentliches Reservat für die katholische Schreibweise wurde ausgerechnet der Name «Ezechiel» gewählt – die protestantische Schreibweise ist «Hesekiel». Hebräisch heißt der Prophet «J’hezqi’el» (später dann nur noch «J’hezqel»), griechisch «Iezekiel». Das anlautende J ist im Lateinischen irgendwann verloren gegangen, doch finden sich noch ältere Schreibweisen wie «Hiezechiel». Auch im Syrischen ist das J weggefallen, doch hier ist noch das H erhalten – der Name entspricht hier also der protestantischen Form «Hesekiel». Lateinisches Ch vertritt ebenso wie das griechische Chi in der Regel hebräisches Kaph und manchmal auch Heth; in «Ezechiel» jedoch steht hebräisch Qoph und dementsprechend griechisch Kappa. Im Lateinischen müßte darum C stehen; doch im Spätlateinischen des IV. Jahrhunderts wäre in *«Ezeciel» das C assibiliert worden («Esetschiel» in deutschen Ohren); um das auszuschließen wird sozusagen in frühitalienischer Orthographie, für Nichtitaliener aber verwirrend, «Ezechiel» geschrieben. Diese Schreibweise ist also in zweifacher Weise ungerechtfertigt; zudem muß man beachten, daß das Z hier wie NT, nicht wie sonst im AT auszusprechen ist.
Nicht übernehmen wollte man in die Richtlinien das völlig unbegründete H von «Hiob». Damit das Ergebnis aber nicht zu katholisch aussehe («Iob»), fügte man ein J ein. So kommt es, daß den Richtlinien nach für die genau gleiche Lautfolge einmal «io» geschrieben werden soll – «Zion» –, einmal «ijo» – «Ijob».
Allerdings geht die geschichtsfeindliche Tendenz der Loccumer Richtlinien auch über die traditionelle protestantische Schreibweise hinweg: Th und Ph sollten durch T und F ersetzt werden. Hier hat für einige besonders bekannte Namen das «Ökumenische Verzeichnis der biblischen Eigennamen nach den Loccumer Richtlinien» auch die traditionelle Schreibweise zugestanden – neben der Loccumer: auch «Mattäus» und «Mattias» sind vorgesehen (werden Deutsche dann wohl «Matzias» sagen?).
In der Zarenzeit wurde der Name «Foma» noch mit Theta («Fita») geschrieben; damals konnte ein Deutscher darin unschwer «Thomas» erkennen. Danach wurde dieser Buchstabe abgeschafft, durch Ф ersetzt. Wenn nun bei strikter Anwendung der Loccumer Richtlinien im Deutschen «Tomas» geschrieben werden sollte, so wird ein Deutscher kaum mehr die Möglichkeit haben, die Zusammengehörigkeit dieser Namensformen zu sehen.

Die neue deutsche Rechtschreibung 

siehe auch: Norbert Westhof: Babylonische Verwirrung
Aber nicht nur im kirchlichen Bereich ist die Orthographie ein Paradefeld des Schwachsinn hochkarätiger Kommissionen: die neue deutsche Rechtschreibung bietet bemerkenswerte Beispiele. «Quentchen» wird nunmehr «Quäntchen» geschrieben: offenbar hat man angenommen, dieses Wort käme von «Quantum». Von einem etymologischen Wörterbuch kann man sich eines Besseren belehren lassen; doch auch ein gutes Lexikon genügt schon: ältere Formen sind «Quint» und «Quent». Warum diese Gewichtseinheit, ein Viertel Lot, «Quint» genannt wurde, ist eine Frage; daß aber «Quäntchen» von «Quint» und nicht etwa von «Quantum» kommt, ist klar.
«Rauh» hat sein H verloren, soll nun «rau» geschrieben werden; «roh» dagegen durfte das seine behalten. Umgekehrt wäre die Reform berechtigt; wer es nicht durchschaut, daß die Bezeichnung «Rauchwaren» (die bekanntlich keine Tabakwaren sind) von «rauh» abgeleitet ist, kann sich auch hier eines etymologischen Wörterbuchs bedienen: das H von «rauh» ist etymologisch begründet, das von «roh» nicht. War etwa kein solches Wörterbuch zur Hand? Auch ein Englisch-Wörterbuch reicht aus: «rauh» heißt dort «rough», «roh» aber «raw».
Daß «Spagetti», daß «Getto» statt «Spaghetti», «Ghetto» zu schreiben vorgeschrieben würde, wurde gerade noch abgewendet; aber jene Barbarismen bleiben zulässig (während «Container» mit seinem unhistorischen A alleingültig bleibt). Eine sinnvolle Reform dagegen wurde versäumt: «italienisch» wird im Deutschen stets «italiänisch» ausgesprochen – zu Recht, denn natürlich ist dieses Wort nicht von «Italien» abgeleitet, sondern von «italiano».

Die neuen Übersetzung der liturgischen Texte

W.H.W: Die Übersetzung liturgischer Texte. E&E 12 (2007), S. 20-46
Die Übersetzungskommission für die neuen liturgischen Texte lieferte ähnlichen Stoff; der aber ist schon zuvor ausführlich erörtert worden. Ein einfaches Beispiel zur Erinnerung: «Deus Pater omnipotens» (durch drei Casus) wird in apostolischem Glaubensbekenntnis und Gloria an drei Stellen dreimal verschieden übersetzt: «Gott, den Vater, den allmächtigen», «[zur Rechten] Gottes, des allmächtigen Vaters», «Gott und Vater, Herrscher über das All». Ein guter Lateinlehrer hätte einem Sextaner die erste dieser Übersetzungen schwerlich, die letzte sicher nicht durchgehen lassen.
Aber dieses Beispiel läßt erraten, wie es in solch einer Kommission zugehen mag: jeder darf einmal, wie wunderliche Gedanken ihm seine Profilneurose auch immer eingeben mag.
Im Gloria heißt es: «glorificamus te, gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam» – der Zusammenhang zwischen «glorificamus» und «gloriam tuam» ist eigentlich unverkennbar: «wir verherrlichen Dich, wir sagen Dir Dank ob Deiner großen Herrlichkeit» ist die hergebrachte Übersetzung. Nun aber heißt es: «wir rühmen Dich und danken Dir, denn groß ist Deine Herrlichkeit» – der Zusammenhang ist zerstört.

• Die Neuordnung der Liturgie •

...

• III. Interview mit einem intelligenten Atheisten •

Orietur Occidens