Der Löwe von Münster
Bischof Clemens August Graf v. Galen,
das NS-Regime und die Juden

Männer der Kirche, die sich in der NS-Zeit bewährt haben, als die Staatsmänner in West und Ost moralisch versagt haben, haben sich dadurch Haß und Verleumdung der laizistischen Welt zugezogen. Am meisten getroffen hat es Papst Pius XII.; darüber haben wir an anderer Stelle bereits ausführlich geschrieben.
Die Päpste Pius XI. und Pius XII. E&Ewald 15/2010, S. 2-17
Aber es hat auch den „Löwen von Münster“, den seligen Clemens August Kardinal v. Galen getroffen. Der 75. Jahrestag seines Todes ist uns Anlaß, an sein Wirken zu erinnern.

Kirche und Antisemitismus in der Zeit vor 1933

Der Umgang mit den Juden ist kein Ruhmesblatt der Kirchengeschichte, aber es war besonders der Heilige Stuhl, der immer wieder auf den Grundrechten für sie bestanden hat.
Pinchas Lapide: Rom und die Juden. Papst Pius XII und die Judenverfolgung. Ulm 1967
Allerdings hat es in der Neuzeit auch von dessen Seite Ungutes gegeben. So erscheint das Verhalten Pius’ IX. im Falle von Edgardo Mortara durchaus kritikwürdig, wenn auch dessen Darstellung meistens, selbst die von Pinchas Lapide, sehr entstellend ist – Pius XII. freilich hat in grosso modo vergleichbaren Situationen nach dem II. Weltkrieg ganz anders entschieden.
Crescentia: Über schwierige Heilige: Der sel. Pius IX. und der Mortara-Fall. Nolite Timere, 31. Juli 2019
Schon im März 1928, als die NSDAP noch eine bedeutungslos erscheinende Splitterpartei war, ließ Papst Pius XI. durch ein Dekret des Heiligen Offizium den Antisemitismus ausdrücklich verurteilen. Als er im September 1938 vor einer Pilgergruppe diese Verurteilung wiederholte, sagte er dabei auch den Satz: «Wir sind im geistlichen Sinne Semiten» (Die Päpste Pius XI. und Pius XII., S.4).
Infolge der Weltwirtschaftskrise breitete sich die NSDAP über Deutschland aus. Schließlich war ihre Anhängerschaft unterschiedslos über alle Gesellschaftsschichten, über alle Bildungsgrade, Einkommensklassen, Altersstufen, über Stadt und Land verteilt. Das einzige soziologische Kriterium, das einen wesentlichen Unterschied in der Anfälligkeit für diese Partei zeigte, war die Konfession: wo immer in Deutschland überwiegend Katholiken wohnten, erhielten die Nationalsozialisten deutlich weniger Stimmen; und die Zugehörigkeit zur NSDAP war, wie im August 1932 die deutschen Bischöfe feststellen konnten, Katholiken in allen Diözesen untersagt.
Als 1932 Überlegungen begannen,die NSDAP an der Regierung zu beteiligen, Hitler mit konservativen Politikern „einzurahmen“, ihn so zu „entzaubern, warnte Clemens August Graf v. Galen, damals Pfarrer von St. Lamberti, im Juni in einem Brief an seinen Bruder Franz, der preußischer Landtagsabgeordneter war, vor solch einer Regierungsbeteiligung: „Wenn der Rechtsradikalismus, wenn die Hittlerleute [sic] auch nur die wenigen Monate bis zum Zusammentritt des neuen Reichstages die Macht in Händen hält: wieviel Unheil könnten sie, würden sie wahrscheinlich in dieser Zeit über Deutschland bringen!“
Joachim Kuropka: „Etwas Teuflisches“ / Clemens August Graf v. Galen und der Nationalsozialismus. In: Joachim Kuropka: Streitfall Galen / Studien und Dokumente S. 115-140; hier: S. 119

Bischof Clemens August und das NS-Regime

Im Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler. Mit trickreichem Geschick und viel krimineller Energie gelang es ihm schnell, die „Einrahmung“ durch konservative Politiker zu durchbrechen und bald alle Macht an sich zu ziehen. Nun galt es zu retten, was noch zu retten war. Die deutschen Bischöfe hoben das Verbot der NSDAP-Mitgliedschaft auf, doch in der Sache wichen nicht zurück: im selben Hirtenbrief vom 29. März schrieben sie ausdrücklich, daß die diesen Verboten zugrunde liegende «Verurteilung bestimmter religiös-sittlicher Irrtümer» davon unberührt bestehen blieb.
Im Juli 1933 wurde Clemens August Graf v. Galen vom Domkapitel zum Bischof von Münster gewählt, im Oktober geweiht.
Sein Wirken wurde eingehend ausgewertet von Joachim Kuropka: „Daß für ihn auch heute noch die Juden das auserwählte Volk Gottes seien“ / Bischof von Galen und die Juden. In: Joachim Kuropka: Streitfall Galen (s.o.), S. 141-163. In den folgenden Abschnitten wird daraus referiert:
Auf den Glückwunschbrief des Münsteraner Rabbiners Steinthal zu seiner Bischofsweihe antwortete Bischof Clemens August, „daß für ihn auch heute noch die Juden das auserwählte Volk Gottes seien und er sich gerade über dieses Schreiben besonders gefreut habe“ (S. 160). 1942 schrieb ein Gestapo-Mitarbeiter, dem das offenbar vorlag: Bischof v. Galen habe seiner „noch immer unveränderten Ansicht, daß das jüdische Volk das auserwählte Volk Gottes sei, klar Ausdruck gegeben (S. 141).
Im Osterhirtenbrief vom 26. März 1934 schrieb Bischof Clemens August unter anderem, das sittliche Naturgesetz verpflichte „alle Menschen ohne Unterschied der Rassen und Klassen.“ Solche Formulierungen klingen für uns heutige völlig harmlos, doch damals waren sie das keineswegs – die Auswertung des Hirtenbriefs durch den Gauleiter Röver für die Reichskanzlei: jeder Satz des Hirtenbriefs sei „vom Hass gegen den Nationalsozialismus diktiert“, Bischof v. Galen wende sich „gegen alle Grundsätze des Nationalsozialismus“ (S. 154).
Am 26. Juni 1938, also wenige Monate vor den Pogromen der „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938 ließ der Bischof an alle Pfarreien der Diözese Münster ein Heft mit dem Titel „Die Nathanaelfrage unserer Tage: kann denn aus Palästina etwas Gutes kommen?“ verteilen mit der Anweisung, das in Predigt und Katechese zu behandeln. Darin die Sätze: „Gleich welchem Volk, gleich welchem Geschlecht ein Mensch angehört, von Gott ist er geliebt, ..., für ein ewiges Leben bestimmt“; „den Juden und damit allen Völkern ... gezeigt, dass es eine Liebe gebe, die nicht an Volksgrenzen haltmacht“ (S. 156).
Nach dem 9. November 1938 hat Bischof Clemens August angeordnet, in den Kirchen des Bistums für die Juden zu beten. Allerdings wurden deshalb dann mehrere Priester und Ordensschwestern verhaftet (S. 152).
Eine Predigt für die Juden, die er erwogen hatte, hat er dann in Abstimmung mit der jüdischen Gemeinde wegen der unabsehbaren Folgen unterlassen (S. 144, 162) – eine Sorge, die später bestätigt wurde durch die Folgen des Protestes der niederländischen Bischöfe (Die Päpste Pius XI. und Pius XII., S. 11).
Doch er hat vielen bedrängten Juden finanziell geholfen (S. 151), Juden gewarnt – „Leo [Jonas], verlaß so schnell wie möglich Deutschland! ... Heute bist du, morgen bin ich dran“. Einer Jüdin hat er 1938 einen falschen Taufschein ausgestellt, um ihr die Ausreise zu ermöglichen (S. 151).
Dr. Steinthal, seinerzeit Münsteraner Rabbiner, dann emigriert: Bischof v. Galen habe „in jener Zeit des Leides wahre Menschlichkeit bewahrt ... und durch seine Mahnung und sein unerschrockenes Beispiel segensreich gewirkt“ (S. 151).
Am 2. Oktober 1941 schrieb Joseph Goebbels in sein Tagebuch, Bischof v. Galen habe eine „schroffe Rede gegen den Bolschewismus gehalten“, dabei „den Nationalsozialismus so ungefähr mit ihm auf eine Stufe gestellt“ (S. 142).
Zu einem Hirtenbrief der westdeutschen Bischöfe zum Passionssonntag 1942 hatte Bischof Clemens August eine eigene Version entworfen, von der nicht klar ist, ob er sie in der ganzen Diözese vorlesen ließ oder nur in den Kirchen von Münster. Darin fordert er die „jedem Menschen, auch den Blutsfremden und den Angehörigen der Feindvölker von Gott verliehenen Persönlichkeitsrechte“ ein (S. 158).
In einem Hirtenbrief vom 13. Dezember 1942 schrieb Bischof Clemens August: „die Grundforderungen des Rechts sind ewig und unabänderlich ... für alle Menschen gleich und gelten hinaus über die Grenzen der Völker und Rassen. Sie gelten also für das Zusammenleben mit den Angehörigen fremder Rassen und Nationen“ (S. 158).
Im Hirtenbrief „Die zehn Gebote als Lebensgesetz der Völker“ der deutschen Bischöfe vom August 1943 heißt es zum fünften Gebot: „Tötung ist an sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt würde, an schuld- und wehrlosen Geistesschwachen und -kranken, an Menschen fremder Rasse und Abstammung.“An einer anderen Stelle steht: „treten wir auch ein ... für die schuldlosen Menschen, die nicht unseres Volkes und Blutes sind.“
In einer Version, die Bischof Clemens August am 10. und 17. Oktober 1943 in den Kirchen vorlesen ließ, hieß es noch klarer: „für die schuldlos Verhafteten und Bedrückten, auch jene, die nicht unseres Blutes und Volkes sind“ (S. 159).

Der zeitgeschichtliche Hintergrund

Was auffällt, ist, daß von den deutschen Bischöfen und so auch von Bischof Clemens August viel von Menschenrechten geredet wurde, manchmal von „Blutsfremden“, von „Menschen fremder Rasse und Abstammung“, selten von Juden. Warum?
Deshalb so selten, weil man damit der NS-Propaganda Vorschub geleistet hätte: daß die Kirchen für die Juden seien, war ein ständiges Thema dieser Propaganda. Sich einfach für die Juden auszusprechen hätte diese Propaganda zur eigenen Bestätigung umgemünzt.
Mir liegen Karikaturen aus dem Stürmer vor, der markantesten antisemitischen Hetzschrift dieser Zeit. Da sieht man:
Ein riesiges Buch mit einem Kreuz, darauf ein Davidstern, als Titel; darauf liegen zwei Juden, ein evangelischer Geistlicher darunter, als drohte das Buch, ihn zu erschlagen: «Hetzapostel. Glaubt ihr, daß es der Kirche nutzt, wenn ihr die Juden schützt und stützt?» (Nr. 27, 1930)
Ein Jude malt Christus am Kreuz (mit Gasmaske!): «... mer haben ihn gemordet, mer haben ihn verspottet, aber seiner Kirche senn mer heute noch genehm» (Nr. 34, 1934)
«Predigt / Heut treibt er’s wieder arg, der Herr Pfarrer! Wenn er sonst mit Liebe von den Juden predigt, sollt man gar nicht glauben, mit welchem Haß er auf die Nazi schimpfen kann» (Nr. 46, 1936)
Zwei Geistliche, einer mit Pileolus, einer mit Beffchen, halten ein Plakat: «Die Juden sind das auserwählte Volk / Halleluja / Das Heil kommt von den Juden / Hall[...]» (Nr. 49, 1936)
Zwei riesige Hände, die eine mit Davidstern, die andere mit Hammer und Sichel, halten die Hände eines Bischofs: «Hand in Hand / Mancher Bischof hat’s vergessen, in der Bibel steht es schlicht: Locken dich die bösen Buben, ei, so folge ihnen nicht.» (Nr. 2, 1939)
Einmal wird ein Auszug aus Nr. 57 des „Christkönigsboten“, des Blattes der „Christkönigsgesellschaft weißes Kreuz“, abgedruckt: «Der verantwortliche Redakteur ist ein gewisser Dr. Max Jose Metzger» (Max Josef Metzger, 1943 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, 1944 hingerichtet; der diözesane Seligsprechungsprozeß ist abgeschlossen). Die Litanei bittet – mit der vorgegebenen Antwort: «Erbarme Dich ihrer» unter vielen anderen für «alle Christen / alle Heiden / alle Juden [im Stürmer gesperrt gedruckt] / alle Mohammedaner / alle von der Kirche Getrennten / alle Freimaurer / alle Kommunisten / alle Anarchisten / alle Revolutionäre / alle Volksfremden und Andersrassigen / alle Zigeuner». Im Kommentar des Stürmers: «Daß in dieser Fürbittlitanei nicht auch die „Nazis“ als der Fürbitte bedürftig verzeichnet sind, hat seine Gründe.» (Nr. 34, 1934)
Die Karikaturen sind abgedruckt bei Konrad Löw: Die Schuld. Gräfeling 2002
Sich einfach für die Juden auszusprechen wäre nur Wasser auf die Mühlen solcher Propaganda gewesen. Erst die Berufung auf das Naturrecht, die Menschenrechte, die für alle und damit auch für Juden gelten, hat der Stimme der Kirche für damalige Hörer Gehalt geben können.
W.H.W.

Orietur Occidens