Priestertum

 • Das Priestertum der Christen – das Priesteramt in der Kirche •

 • Wäre es zum Nutzen der Kirche, den Zölibat aufzugeben? •

 • Die Argumentation für die «Frauenordination» •

Streifzüge durch die Bibel:

 • Priester •

E&E 8 S. 36-44  2003
Ulrich Terlinden

Noli me tangere
Das Priestertum der Christen
– das Priesteramt in der Kirche

1. Einleitung

„Sie war eine Priesterin“, sagte mir am 25. März 1999 ein mit unserer Familie befreundeter Priester. Er meinte meine Oma. Er sagte es am Tag ihrer Beerdigung im Rückblick auf ihr über 88jähriges Leben. Und er hatte recht. Warum meine Oma eine Priesterin war, wie sie es war, und wie nicht – das ist die Frage, die etwas Klarheit in die Diskussion bringen könnte, die die Forderung einiger Frauen nach der sakramentalen Weihe zum Priesteramt ausgelöst hat.
Ich selbst habe einmal den Standpunkt vertreten, man müsse auch Frauen zur Priesterweihe zulassen. Mein damaliges Argument war, man dürfe dem Heiligen Geist nicht vorschreiben, wen er zum Priester berufe und wen nicht.
Ich habe mich lange und intensiv damit befaßt, in Gesprächen mit Mitbrüdern, Freunden und Theologen, in der Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift, im Ringen mit der Lehre der Kirche. Das Lehrschreiben „Ordinatio sacerdotalis“ von Papst Johannes Paul II. von 1994, in dem dieser ein Ende der Diskussion über dieses Thema verfügt, hat mich erschrocken. Ich fragte mich, was den Heiligen Vater bewegt hat, zu so einer drastischen Maßnahme zu greifen – ich fragte mich und dachte nach – und ich fand eine Antwort, die ich Ihnen nun vortragen will.
Wir werden uns zunächst Gedanken darüber zu machen haben, was die Kirche ihrem Wesen nach ist, dann sind einige Verhältnisbestimmungen vorzunehmen, so die zwischen Priestertum und Priesteramt, Amt und Charisma, Berufung und Erwählung – ja und auch über Gefühl und Wahrheit werden wir zu sprechen haben.

2. Die Kirche: Stiftung des Gottessohnes, der sich für uns dem Vater hingegeben hat

Die Kirche ist von Jesus Christus gestiftet worden. Er ist Gottes Sohn und lebt darum für den Vater und für die Seinen. Dieses „Für“ macht das Wesen und Leben Christi aus. Durch Seine Hingabe sind wir – wenn wir denn glauben und getauft sind – geheilt und erlöst und in seinen Leib aufgenommen. Diese Erlösung durch das Lebensopfer Christi, das seinen Höhepunkt am Kreuz hatte, kommt aus der Liebe Gottes zu uns, den Menschen. „Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus.“ (Röm. 3,23 f.)
Gott hat sich also in Seinem Sohn „für uns hergegeben“, hat sich selbst geopfert, um uns wieder zu ihm zu führen. Dazu ist er Mensch geworden, denn nur als Mensch, als unser Bruder konnte er den Graben überbrücken, den unsere Sünde geschaufelt hatte, denn vom Menschen, nicht von Gott, war die Verbindung zerbrochen worden.
So leben wir Christen in einer neuen, eucharistischen Wirklichkeit: „In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, Herr, heiliger Vater, immer und überall zu danken durch unseren Herrn Jesus Christus. Denn er hat Großes an uns getan: Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat er uns von der Sünde und von der Knechtschaft des Todes befreit und zur Herrlichkeit des neuen Lebens berufen. In ihm sind wir ein auserwähltes Geschlecht, dein heiliges Volk, dein königliches Priestertum. So verkünden wir die Werke deiner Macht, denn du hast uns aus der Finsternis in dein wunderbares Licht gerufen“, beten wir in der ersten Sonntagspräfation.
Gott hat uns also in die Wirklichkeit des neuen Lebens geholt und zu einem priesterlichen Volk gemacht, das heißt, zu einer Schar der Erlösten, die nicht für sich selbst da ist, sondern zur Rettung aller Menschen: „Priesterlich“ bedeutet „Gott und die Menschen durch das Opfer verbindend“. Dieses verbindende, lebensspendende Opfer, das alle Menschen zum Heil führt, ist der Leib Christi. Insofern die Kirche dieser Leib ist, sind alle Christen Priester, bringen das Opfer dar, indem sie „nicht mehr [sich] selber leben, sondern Ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist“ (IV. Meßkanon).

3. Priestertum und Priesteramt

a) Apostel und Jünger

Um uns dem Verhältnis zwischen dem allgemeinen Priestertum und dem besonderen Priesteramt zu nähern, ist es hilfreich, einen Blick auf die Berufungen und Erwählungen zu werfen, die Christus auf Erden getan hat: Sicher einige hundert Jünger waren ihm gefolgt, darunter auffallend viele Frauen. Das war für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich; denn die Frauen hatten ihren religiösen Ort nicht in der Öffentlichkeit, noch nicht einmal in der Synagoge, sondern im Haus. Bis heute ist das unter orthodoxen Juden und bei den Muslimen so, und auch unsere Apostelbriefe, die immer nur die „Brüder“ ansprechen, spiegeln das noch wider, obwohl im Christentum die Frauen in der Liturgie anwesend waren. Für das allgemeine Priestertum der Kirche gilt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid &bsquo;einer‘ in Christus Jesus.“ (Gal. 3,28)
Diese Jünger hörten den Ruf Jesu: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk. 1,15) Sie erfuhren in Christus das Heil Gottes und folgten ihm.
Unter den Jüngern wählte der Herr die Zwölf aus, die Er in seinen besonderen Dienst rief. „Zwölf“ Männer – das machte jedem Juden klar: Jesus sammelt das Volk Israel (das faktisch nur noch aus zweieinhalb Stämmen bestand) und führt es seiner bestimmten Vollgröße entgegen, denn aus den zwölf Söhnen Jakobs waren ja die zwölf Stämme Israels hervorgegangen. Die zwölf Apostel Jesu waren nicht eben die Begabtesten, eher einfache Leute, nicht besonders verläßlich oder loyal, teilweise eher begriffsstutzig oder sogar falsch. Jesus erwählte sie, weil er es wollte; vielleicht lag sogar in ihrer „Unbegabtheit“ eine besondere Absicht. Und mit ihnen – nur mit den Zwölf – hielt er am Gründonnerstag das Letzte Abendmahl, nicht einmal Maria war dabei.
Jesus galt seinen Feinden als „Fresser und Säufer“ (Mt. 11,19; Lk. 7,34), weil bei ihm auffallend war, daß er gerne und oft Mahl hielt, vor allem mit den Sündern und Ausgestoßenen. Die Mähler stellten das angebrochene Gottesreich dar: Gottes Nähe heißt Leben in Fülle.
Das Letzte Abendmahl steht in der Reihe dieser Mähler, es ist ihr Gipfel – und doch unterscheidet es sich ganz wesentlich: Es ist das einzige in geschlossener Gesellschaft – nur die zwölf Apostel, die Patriarchen des neuen Israel (das alte hatte sich dem Ruf des Messias zu großen Teilen verschlossen), sind beim Erlöser, um von ihm nun nicht mehr Brot zu empfangen, sondern den Leib und das Blut dessen, der tags drauf sterben würde zur Vergebung der Sünden. Dieses Mahl ist in seinem Wesen kein Mahl mehr: Es ist das Opfer Christi in der sakramentalen Gestalt des Mahles. Nur die Zwölf hörten das Gründungswort der Kirche und die Einsetzung des Priesteramtes: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“

b) Priesterliches Volk und Priesteramt für das Volk

Alle Christen sind auf Christi Tod getauft; sie gehen ein in das Opfer Christi – jedesmal neu, wenn sie Eucharistie feiern: „O Herr, mit diesen Gaben wir bringen am Altar / uns selbst und was wir haben zu Christi Opfer dar.“ (GL [MS] 985,2)
So ist die Eucharistie Quelle und Höhepunkt des gesamten christlichen Leben: Wir leben mit dem, aus dem und für den, der sich hingegeben hat zum Heil der Welt.
Unser Opfer ist nicht von uns selbst, aus eigener Leistung und Anstrengung erbracht, sondern es ist eben jenes Lamm, das Gott selbst seiner Kirche als Opfergabe gegeben hat: Jesus Christus als der Gekreuzigte. Am Kreuz hat er sich sich ganz geschenkt – aus Liebe. Und dieses Opfer der Liebe bleibt gegenwärtig in seiner Kirche. Denn er hatte den Seinen verheißen: „Seid gewiß, ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt.“ (Mt. 28,20) So hat er den Aposteln den Auftrag und die Vollmacht erteilt, in der Kirche lebendig zu halten und sakramental darzustellen, was er, das Haupt, „alle Tage bis zum Ende der Welt“ für seine Kirche tut: Das Amt in der Kirche stellt also dar, daß Christus sich für sie hingibt. Der Priester ist für den Leib Christi der „Haupt-Darsteller“.
Darum ist das Priesteramt, die Weihe – als einziges der Sakramente – ganz von dem „Für“ des Wesens Christi bestimmt: Das Weiheamt ist das Sakrament für andere. Es ist nur wichtig für die Kirche, nicht für mich. Man wird nicht Priester, weil man will, weil man so das Heil fände („Im Himmel gibt es keine Priester“), sondern man wird es, weil Gott es will, und weil ich vor ihm geeignet und bereit bin.
So gibt es auch kein Recht auf die Weihe – im Gegensatz zu den anderen Sakramenten. Die Zwölf hatten auch kein Recht, erwählt zu sein, und die meisten Menschen, die Gott erwählt, wollen das zunächst gar nicht (Mose, Jona, Amos usw.). Es widerspräche dem Wesen des Dienstamtes, es für sich zu fordern, denn es wird ja nicht für den Empfänger gespendet. Man nimmt sich nicht die Weihe, man fordert sie nicht, sondern man wird dazu erwählt und sie wird mir gespendet – für die Kirche.
Die Forderung, das Priesteramt für Frauen zugänglich zu machen, wird mit den Menschenrechten begründet. Darin steckt ein schwerer theologischer Fehler: Das Priesteramt der Kirche gründet in Christus. Er übte sein Hohepriesteramt am Kreuz aus, da ihm alle Menschenrechte genommen waren.
Zum Priestertum sind alle berufen – es kommt darauf an, daß ich höre und gehorche. – Zum Priesteramt hingegen werden einige erwählt, es kommt darauf an, daß diese Erwählung von Gott und der Kirche geschieht. (Weiheliturgie: „Mit dem Beistand unsers Herrn und Gottes Jesus Christus, des Erlösers, erwählen wir diese unsere Brüder zu Diakonen/Priestern.“ – „Dank sei Gott, dem Herrn.“)

4. Amt und Charisma

Wir sagten bereits, daß das Einklagen des Priesteramtes in sich ein Fehler ist: Kein Mann, der es einklagt, wird geweiht. Dennoch wird es eingefordert, und dazu werden die besonderen Charismen der Frau als Argument ins Feld geführt.
Charismen sind besondere Geistesgaben an einzelne. Sie stehen neben der apostolischen Amtsstruktur der Kirche. Charismen sind Gaben an eine bestimmte Person in einer bestimmten Zeit und Situation. Das Amt hingegen braucht keine Charismen, außer dem einen, sozusagen amtlichen, der Weihe selbst. „Charismatische“ Priester erweisen sich oft als problematisch, sie zelebrieren die Messe nicht selten in einer sehr persönlich eingefärbten Weise, sodaß es vielen Gläubigen schwer ist, mit ihrer vielleicht ganz andern Lebens- und Geistesverfassung diese Messe mitzufeiern.
Das Amt ist Garant für die Objektivität der Gegenwart Christi in seiner Kirche. Je uncharismatischer, ja unbegabter der Amtsträger, desto deutlicher wird, daß unser Heil nicht vom Menschen, von der Person des Priesters oder auch mir selbst abhängt, sondern vom Herrn. Die Objektivität des Amtes und der Liturgie steht dafür, daß die Kirche Stiftung des Herrn ist, der selbst in seiner Kirche herrscht.
Heute herrscht weitgehend ein subjektiviertes Liturgiebild: Im Gästebuch der Internetseite „Maria von Magdala“ schreibt eine Eva-Maria Götte-Schmidt am 31. März 2003 über ein Treffen im Kloster Helfta: „Es war wieder sehr schön und vor allem unser Gottesdienst sehr lohnenswert [Hervorhebung vom Verf.]. Das sind die einzigen beiden Gottesdienste im Jahr, an denen ich noch mit vollem Herzen teilnehmen kann.“ Wie weit hat diese Dame sich vom Gebet der Kirche entfernt!
Die Liturgie der Kirche ist ebenso wie diese selbst vom Herrn gestiftet. Man muß nicht den Gottesdienst, vor allem die Messe, sich und seinen Bedürfnissen anpassen, sondern umgekehrt – das ist das Prinzip der Wandlung. Alles andere führt auf Dauer in eine banale Selbstbespiegelung oder Selbstdarstellung.

5. Gefühl und Wahrheit

Das Problem scheint darin zu liegen, daß persönliches Gefühl heute oft über die objektive Wahrheit gesetzt wird. Sicher ist diese Wahrheit, die Gott selber ist, für den gottfernen Menschen zunächst unbequem. Die Gebote zum Beispiel scheinen zunächst Einschränkungen der Freiheit zu sein. Wer sich aber auf die Wahrheit Gottes einläßt, auf seine Offenbarung, deren Trägerin die Kirche ist, der erfährt das Gegenteil: Der Herr verheißt im Johannesevangelium: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien.“ (Joh. 8,32)
Gottes Wahrheit – ein anderes Wort für Treue – ist handfest; sie ist nicht bloß eine Idee, sondern sie bindet sich frei an Menschen, an das Volk Israel, an die Kirche. Daß die Kirche von Anfang an ihre Amtsträger mit Handauflegung weiht, ist ein sprechendes Zeichen: Keiner nimmt sich das Amt, sondern Gott gibt es durch seine Kirche.
Noch einmal: Die Kirche ist Stiftung Christi – auch in ihrer konkreten Gesetztheit, in ihren Gesetzen. Wir sind gerufen, uns dieser Wahrheit in dieser konkreten Kirche zu fügen, im besten Sinne des Wortes gehorsam zu sein, „Hörer des Wortes“ (K. Rahner), weil in Christus, dem Wort Gottes, das Leben ist, das Licht der Menschen (vgl. Joh. 1).
Wie also kann z.B. die Frage, ob die Kirche Frauen zu Priestern weihen kann, entschieden werden? Drei Maßstäbe kennt die Kirche, um solche schwerwiegenden Fragen zu beantworten: das Zeugnis der hl. Schrift, die beständige Praxis (Tradition) und das ordentliche Lehramt, das der Papst mit den Bischöfen ausübt. Und hier ist die Sachlage klar; wiederholtes Behaupten nicht belegter anderslautender Thesen macht diese nicht wahrer.
Daher kommt die Kirche zu dem Schluß, „daß [sie] für sich nicht die Vollmacht in Anspruch nimmt, Frauen zur Priesterweihe zuzulassen“1, und betont, daß der Grund dafür die Handlungsweise Christi ist, die sich nicht aus soziologischen oder kulturellen Umständen erklären läßt – im Gegenteil handelte Christus ja diesen ansonsten oft zuwider. „Der wahre Grund liegt darin, daß Christus es so festgelegt hat, als er die Kirche mit ihrer grundlegenden Verfassung und ihrer theologischen Anthropologie ausstattete, der dann in der Folge die Tradition der Kirche stets gefolgt ist.“2
Das bedeutet keine Minderung der Würde der Frau, noch weniger eine Diskriminierung, denn wem käme unter allen Menschen eine höhere Wertschätzung seitens der Kirche zu, als Maria, der Mutter Gottes, die ja weder die Sendung der Apostel noch das Amtspriestertum innehatte.
Nicht das Amt ist in unserem Glauben das Entscheidende, sondern die Heiligkeit. „Die hierarchische Struktur der Kirche [ist] vollkommen auf die Heiligkeit der Gläubigen ausgerichtet.“3
Die Legenda Aurea erzählt von Maria Magdalena, daß sie die letzten dreißig Jahre ihres Lebens in völliger Einsamkeit gelebt habe. Sieben mal am Tag sei sie von Engeln in den Himmel entrückt worden, wo sie vom Herrn gespeist worden sei und dem Gesang an Gottes Thron lauschen durfte. Als ihr offenbart worden war, daß sie nun sterben würde, bat sie einen Priester, er solle dem Bischof Maximinus sagen, dieser solle am nächsten Ostertag, wenn er zur Frühmesse aufsteht, alleine in die Kirche gehen, wo er sie von Engeln geleitet antreffen werde. Der Priester tat, wie Magdalena ihn gebeten. „Maximinus aber dankte dem Herrn mit großen Freuden; und ging an dem Tag und um die Stunde, da ihm geboten war, allein in die Kirche. Da sah er Maria Magdalena im Chor der Engel stehn, die sie hatten hergeführt. Sie war aber zwei Ellen aufgehoben von der Erde und stund in der Mitte der Engel, und betete mit ausgebreiteten Händen zum Herrn. Da Sanct Maximinus aber fürchtete, zu ihr heranzutreten, sprach sie zu ihm gewendet: &bsquo;Tritt näher heran, Vater, und fliehe vor Deiner Tochter nicht‘. Als er aber näher herantrat, so liest man in Maximini eigenen Büchern, da strahlte ihr Antlitz allzusehr von dem immerwährenden und täglichen Schauen der Engel, daß man eher in die Sonne hätte sehen mögen, denn in ihr Angesicht. Da rief er den vorgenannten Priester herbei und versammelte den ganzen Klerus, und also empfing Maria Magdalena aus des Bischofs Händen mit vielen Tränen den Leib und das Blut des Herrn. Darnach streckte sie sich mit ganzem Leib für die Stufen des Altars, und also fuhr ihre heilige Seele gen Himmel.“4
Maria Magdalena hat ihr Priestertum gelebt, meine Oma auch – dazu brauchten sie das Priesteramt der Kirche, nicht aber eine Priesterweihe für sich.

1 Apostolisches Schreiben Ordinatio Sacerdotalis von Papst Johannes Paul II. von 1994, 2.
2 Papst Paul VI., Ansprache über die Rolle der Frau im Heilsplan, 30. Januar 1977, zit. in OS 2.
3 OS 3.
4 Legenda Aurea des Jacobus de Voraigne, aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz, Heidelberg 101984, 479.

Orietur Occidens

E&E 15 S. 38-41  2010
Wilfried Hasselberg-Weyandt

Wäre es zum Nutzen der Kirche,
den Zölibat aufzugeben?

Wenn man heutzutage vom Zölibat spricht, so meint man in aller Regel das Gesetz, daß nur unverheiratete – ledige oder verwitwete – Männer zu Priestern geweiht werden. Allgemein anerkannt ist, daß dies positives Recht in der lateinischen Kirche ist, das der Papst aufzuheben berechtigt wäre. Den einen erscheint eine Aufhebung dieses Gesetzes als Heilmittel gegen den Priestermangel, den anderen als verhängnisvoller Bruch mit dem Charisma des Priestertums.
Die geistliche Bedeutung des Zölibats kann ich hier nicht diskutieren; auch will ich nicht diskutieren, ob der Zölibat dazu beigetragen hat, daß der katholische Klerus dem Zeitgeist, so etwa der nationalsozialistischen Ideologie, weitaus besser widerstanden hat als ein Großteil der protestantischen Geistlichkeit. Ich will hier nur ganz pragmatisch fragen, ob eine solche Aufhebung wirklich zum Nutzen der Kirche wäre.

Die biblischen Grundlagen

Eine allgemeine Zölibatsverpflichtung für kirchliche Amtsträger kennt das neue Testament nicht, nur eine Hochschätzung des Zölibats. Im Evangelium heißt es: «.. und es gibt Verschnittene, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreiches willen» (Matth. 19, 12), wobei, von Origenes und einigen anderen abgesehen, dies nicht im Sinne physischer Verschneidung aufgefaßt wird. Paulus pflichtet bei: «Ich will, daß alle Menschen so seien wie ich selbst, aber ... Ich sage den Unverheirateten und den Witwen: schön ist es, wenn sie so bleiben wie auch ich; doch wenn sie sich nicht enthalten können, sollen sie heiraten» (I. Kor. 7, 7-9).
Eine Zölibatsverpflichtung wird nur für «ausgewählte» (oder «eingetragene»1) Witwen (gleichsam die Frühform der neuzeitlichen Gemeindeschwestern) klar ersichtlich: «Eine Witwe werde nur ausgewählt, wenn sie nicht weniger als sechzig Jahre alt ist, eines einzigen Mannes Frau, ... jüngere Witwen aber weise ab: denn wenn sie übermütig gegen Christus werden, wollen sie heiraten, unterliegen damit dem Urteil, daß sie die erste Treue drangegeben haben» (I. Tim. 5, 9.11 f.).
Eine besondere Verpflichtung gibt es für «Bischöfe» (womit im paulinischen Sprachgebrauch nicht nur Bischöfe in der späteren Bedeutung des Wortes2 gemeint zu sein scheinen, sondern auch Priester) und Priester: «Mann einer einzigen Frau» (I. Tim. 3, 2; Tit. 5, 5). Man könnte annehmen, daß Paulus damit nur Männer ausschließen wollte, die in Bigamie lebten, was damals unter Christen noch vorgekommen sein mag; jedoch spricht die damit übereinstimmende Formulierung bei den Witwen deutlich gegen diese Auffassung. In der Folge galt damit der als ausgeschlossen vom Priesteramt, der verwitwet war und wieder geheiratet hatte. Dementsprechend durfte auch ein verwitweter Priester nicht wieder heiraten.

Die kirchengeschichtlichen Bedingungen

Im frühen III. Jahrhundert gibt Hippolyt, der als erster Gegenpapst gilt, ein neues Zeugnis für diese Verpflichtung: er wirft Papst Kallistus vor, der habe Männern, die in zweiter oder dritter Ehe verheiratet sind, die Bischofs-, Priester- und Diakonenweihe zugestanden – damit hätte der Papst also gegen jene von Paulus bezeugte Norm verstoßen. Doch kommt ein weiterer Vorwurf hinzu: er habe Kleriker, die heiraten, im Klerus verbleiben lassen. Ein solcher Vorwurf konnte nur bestehen, wenn die Norm, die Hippolyt einfordert, damals als allgemeingültig akzeptiert war. Also bestand damals schon die Norm – seit wann, bleibt ungewiß –, daß Kleriker zwar verheiratet sein dürfen, doch wenn sie es nicht sind, nun, nach ihrer Weihe, nicht mehr heiraten dürfen. Ob Hippolyts Vorwürfe gegen den Papst stimmen, ist nicht zu klären; sicher festzustellen ist die Norm, auf die er sich beruft.
Später gab es Bestätigungen dieser Norm – die Synode von Neocaesarea (314/15) ordnet an: Priester, die heiraten, verlieren ihr Amt (c. I) – und geringe Einschränkungen – die Synode von Ancyra (314) erlaubt: Diakone dürfen heiraten, wenn sie sich das bei ihrer Weihe ausdrücklich vorbehalten haben (c. X). Insgesamt aber ist das die Norm, die bis heute im Osten wie im Westen gilt: wer eine höhere Weihe empfangen hat, darf nicht mehr heiraten.
Eine etwas spätere Entwicklung ist, daß nur unverheiratete Männer zu Bischöfen – so bis heute im Osten – und dann schließlich im Westen auch zu Priestern nur unverheiratete Männer geweiht werden. Zuvor schon werden sie darauf hingewiesen, daß, wenn sie sich weihen lassen, «castitatem illo adjuvante servare oportebit» (so im extraordinären Usus vor der Weihe zum Subdiakon) – eine Zölibatsverpflichtung also zumindest gleicher Verbindlichkeit wie die für die «ausgewählten» Witwen.

Die heutige Situation

Verheiratete Männer zu Priestern zu weihen, könnte der Papst grundsätzlich erlauben, wie das ja auch für verheiratete konvertierte protestantische Pastoren seit Papst Pius XII. geschieht und für die katholischen Ostkirchen selbstverständlich ist. Verheiratete Männer zu Bischöfen zu weihen, wäre dagegen ein Bruch mit den heutigen Ostkirchen und darüber hinaus mit einer anderthalbtausendjährigen gesamtkirchlichen Tradition, kann also nicht in Betracht gezogen werden.
Erst recht ist es nicht möglich, schon geweihten Priestern zu erlauben, zu heiraten, denn das verstieße nicht nur gegen eine alte gesamtkirchliche Tradition, sondern gegen eine schon in der Märtyrerzeit bezeugte allgemeinverbindliche Norm. Dazu kommt die ausdrückliche persönliche Verpflichtung der Weihekandidaten, deren hohe Verbindlichkeit schon im Neuen Testament für die «ausgewählten» Witwen klar eingefordert ist.
Die Zölibatsverpflichtung aufzuheben hieße also, verheiratete Männer zur Priesterweihe zuzulassen, nicht aber, schon geweihten Priestern die Ehe zu gestatten.
Sind nun all unsere Priester Männer, die sich um des Himmelsreiches willen zum Zölibat entschlossen haben und dann zum Priesteramt berufen wurden? Oder gibt es auch solche, die sich zum Priesteramt berufen sahen und dafür den Zölibat auf sich genommen haben? gleichsam im Priesteramt den Sinn des Zölibats gesehen haben? Mir scheint, daß man annehmen darf, daß es auch solche gibt, daß es sogar recht viele sind, daß das auch durchaus nicht ehrenrührig ist.
Die Zölibatsverpflichtung aufzuheben hieße nun, diese Priester wissen zu lassen: wären sie bisher noch nicht geweiht worden, dann könnten sie nun bald verheiratet sein und Priester sein – jetzt aber, nach ihrer Zölibatsverpflichtung und ihrer Weihe, geht das nicht mehr. Wenn ein Priester im Priesteramt den Sinn des Zölibats gesehen hat, wie soll er seinen Zölibat jetzt sehen? Natürlich kann er eine gute geistliche Antwort darauf finden – das das für ihn leicht sein wird, bezweifle ich.
Die geistliche Bedeutung des Zölibats wollte ich hier nicht diskutieren; ich will hier nur ganz pragmatisch fragen, ob es wirklich zum Nutzen der Kirche wäre, unseren Priestern diese Botschaft zu vermitteln.

1 Der griechische Ausdruck ist nicht eindeutig; doch Vulgata und P”šitta übersetzen «eingetragen».
2 Bischöfe im heutigen Sinn waren dort, wie der Zusammenhang zeigt, Timotheus und Titus.

Orietur Occidens

E&E 16 S. 25-40  2011
Wilfried Hasselberg-Weyandt

Die Argumentation für die «Frauenordination»

«Frauenordination» – gemeint ist damit die Erteilung sakramentaler Weihen an Frauen – ist ein Thema, das eigentlich nicht diskutiert zu werden braucht: es gibt einen Konsens der Kirchen des Ostens und des Westens durch die ganze Kirchengeschichte hindurch, daß solche Weihen nicht möglich sind. Papst Johannes Paul II. hat das, was zuvor nicht gesagt werden zu müssen schien, 1994 in einer authentischen Lehrentscheidung, dem Apostolischen Brief «de sacerdotali ordinatione», bestätigt. Auffällig ist, daß danach noch deutsche Bischöfe ganz nonchalant eine solche Möglichkeit offenlassen wollen – so Bischof Gebhard Fürst von Rottenburg-Stuttgart in einem Redaktionsgespräch mit der Ludwigsburger Kreiszeitung vom 20. Mai 2011: „Priesterinnen wird es vorerst nicht geben“, wird er da zitiert – vorerst!
Daß für Protestanten, die ja, von hochkirchlichen Gemeinschaften abgesehen, kein Weihesakrament kennen, dies nicht in dieser Weise gilt, ist klar. Dennoch dauerte es nach der Reformation noch mehr als vier Jahrhunderte, bis von deutschen Protestanten Frauen «ordiniert» wurden. Das „Deutsche Pfarrerblatt“ (Heft 12/2010) hat dem 75. und 85. Jahrestag der Gründung der einschlägigen Pressure-Gruppen einen langen Artikel gewidmet: „Zum 75. und 85. Gründungsjubiläum zweier Theologinnenkonvente/Seit 2000 Jahren im »Amt« – mit und ohne Würden“ von Cornelia Schlarb.
„Manche Kirchen in Deutschland können inzwischen auf 50, 40, 35 Jahre Ordinations- und Amtspraxis von Theologinnen zurückblicken“, ist dort zu lesen. Etwas später dann: „Dass die Ordination von Frauen entscheidend zum protestantischen Profil gehört und zu den wichtigsten kirchengeschichtlichen Ereignissen der Zeitgeschichte zählt, hat auch der Lutherische Weltbund erkannt und formuliert.“ Demnach gehört etwas „entscheidend zum protestantischen Profil“, was weder die Reformatoren gekannt haben noch die Protestanten in den ersten vier Jahrhunderten nach der Reformation. Wie kann wohl ein Protestant so etwas ungerührt lesen?
Doch bemerkenswert an diesem Artikel ist, daß er sehr ausführlich argumentiert und daß er sich nicht nur auf den protestantischen Raum bezieht, sondern auf die ganze Kirche, daß er zudem recht katholisch argumentiert, nicht nur mit der Schrift, sondern auch mit der Kirchengeschichte. Dieser Artikel zeigt in exemplarischer Form die Argumentation, die für die «Frauenordination» benutzt wird; sie soll hier näher betrachtet werden.
Hier soll es nur um die Bewertung dieser mittlerweile verbreiteten Argumentationsweise gehen. Eine geistliche Sicht dieses Themas boten Ewald & Ewald früher schon: «Noli me tangere»1.

Vorüberlegung:
Die Frau in der Kirche

Tatsächlich – leider! – finden sich im christlichen Schrifttum etliche abwertende Aussagen über Frauen; grundsätzlich aber gibt der christliche Glaube der Frau eine sehr hohe Stellung. Es ist nicht nur die Gottesmutter, die «ehrwürdiger als die Cherubim und unvergleichlich herrlicher als die Seraphim» ist, wie die Kirchen des byzantinischen Ritus so oft singen, es ist nicht nur die «apostola apostolorum», Maria Magdalena; es sind auch die Frauen, die in der Urkirche prophezeiten (I. Kor. 11, 5), es sind später Heilige wie Jeanne d’Arc, die dem Dauphin, dann dem König, wie Katharina von Siena, die dem Papst Anweisungen gab.
Es sind auch die Anordnungen des Herrn selbst – wenn er sagt: «hòs àn apolýse tèn gynaîka autoû kaì gamése állen moichâtai; kaì eàn autè apolýsasa tòn ándra autês gamése állon moichâtai – wer seine Frau entläßt und eine andere heiratet, bricht ihr gegenüber die Ehe; und wenn sie ihren Mann entläßt und einen anderen heiratet, bricht sie die Ehe» (Mc. 10, 11. 12), so ist das eine zu der Zeit unerhörte doppelte Aufwertung der Frau: eine damals unmögliche Scheidung vom Mann durch die Frau wird in einem Atemzug genannt mit der damals gesetzlich akzeptierten Scheidung von der Frau durch den Mann, ohne eine Wertunterscheidung wird beides untersagt; und das Handeln des Mannes, der sich eine neue Frau nimmt, wird ebenso Ehebruch genannt wie das entsprechende Handeln der Frau. Ehebruch der Frau gegenüber – zuvor galt ein Mann nur als Ehebrecher, wenn er die Ehe eines anderen Mannes brach. Die christliche Ehe aber verpflichtet beide, Mann und Frau, zur gleichen ehelichen Treue
Es gibt den Mythos vom urzeitlichen «Matriarchat»2. Nachdem die Ethnologie lange Jahrzehnte das für eine Frühform der Gesellschaftsordnung gehalten hatte, ist heute deutlich zu erkennen, daß es keine wirklichen Spuren davon gibt. Es hat Gesellschaften gegeben, in denen die Frauen eine sehr starke Stellung den Männern gegenüber hatten – die Minangkabau auf Sumatra, die Khasi in den Bergen bei Assam, die Irokesen in Nordamerika –; aber nichts ist bekannt von einer voreuropäischen Gesellschaft, in der die politische Macht allein bei Frauen gelegen hätte. Doch im christlichen Europa gab es solche Staaten: geistliche Fürstentümer mit Frauen – Äbtissinnen – an der Spitze. Im XVI. Jahrhundert gab es vierzehn solcher Reichsabteien, darunter so gewichtige wie Essen und Quedlinburg, im XVIII. noch dreizehn3.
Und es gab Doppelklöster im mittelalterlichen Europa, unter ihnen Fontevrault, in denen die männlichen Mönche dem Regiment der Äbtissin unterstanden. Diese männlichen Mönche waren vor allem vonnöten, um die Liturgie in der Klosterkirche zu vollziehen.
Das nun war der Bereich, der Männern vorbehalten blieb: Altardienst und Sakramentenspendung.

Die Argumente für die «Frauenordination»

Der Artikel von C.S. argumentiert damit, daß im Neuen Testament und in der älteren Kirchengeschichte etliche Frauen nachweisbar seien, die kirchliche Ämter innegehabt hätten. Allerdings leugnet sie zugleich das Vorhandensein von Ämtern in der Urkirche, wenn sie auch zugibt, daß eine „»Sukzession apostolischer Autorität«“ in den von ihr „Tritopaulinen“ genannten Pastoralbriefen des heiligen Paulus entwickelt werde. Diese Voraussetzung erlaubt ihr, sehr schwammig mit dem Begriff der kirchlichen Ämter umzugehen; selbst Märtyrerinnen tauchen auf. Aber sie bietet auch zahlreiche Fälle, in denen es wirklich um Weiheämter geht. Es ginge zu weit, hier all diese Fälle aufzunehmen; an einigen Beispielen soll hier aufgezeigt werden, welcher Art diese Belege sind.

Argumente aus dem Neuen Testament

An ernsthaften Belegen aus dem Neuen Testament führt die Autorin im Kapitel „Frauen als Verkündigerinnen des Evangeliums“/„Apostelinnen“ Junia aus dem Römerbrief (16,7) an, im Kapitel „Frauen als Amtsträgerinnen“/„Bischöfinnen“ Prisca nach dem I. Korinther- (16,19) und Nympha aus dem Kolosserbrief (4,15) an – die beiden letzteren seien „Vorsteherinnen, Leiterinnen von Hausgemeinden“ gewesen.
Nun erscheinen diese drei Frauen bei Paulus in den langen Listen derer, die grüßen lassen oder gegrüßt werden sollen. Mit Nympha zusammen soll man grüßen «kaì tèn kat” oikòn autês ekklesían – und die Gemeinde in ihrem Haus», Aquila und Priscilla lassen grüßen «sỳn tê kat” oikòn autôn ekklesía – mit der Gemeinde in ihrem Haus». Das heißt, daß in ihrem Haus sich eine Gemeinde versammelte; welche Funktionen aber Nympha, Priscilla und deren Mann Aquila in diesen Gemeinden innehatten, wird nicht erwähnt. Man wird schwerlich erwarten, daß in der Urkirche der Hausbesitz eine geistliche Würde verlieh.
Etwas anders ist es mit Junia. Oft wird angenommen, daß es sich um einen Mann handele, Junias. Das ist allerdings unwahrscheinlich: die gens Junia war ein bekanntes römisches Geschlecht; wer dazu gehörte, war Junius oder Junia, ein genuin lateinisches Masculinum «Junias» ist nicht gut denkbar. Dagegen wäre im Griechischen «Iounías» grammatisch gut möglich, aber es ist kein griechischer Name; ebensowenig gibt es ein hebräisches «Junija». Und daß sie – Paulus nennt Andronikos und Junia seine Verwandten – eine Angehörige einer unbekannten Sprachgemeinschaft sei, ist nicht anzunehmen. Wahrscheinlich ist, daß es sich bei diesen beiden, ebenso wie bei Aquila und Priscilla, um ein Ehepaar handelt.
Paulus sagt über «Andrónikon kaì Iounían», sie seien «epísemoi en toîs apostólois – nobiles in apostolis – hochangesehen unter den Aposteln». Das kann durchaus heißen – die Präposition «en», «in», aber auch «zwischen», ist da nicht eindeutig –, daß sie im Kreis der Apostel zugelassen sind als achtenswerte Gläubige; wahrscheinlicher erscheint, daß sie selbst zu diesem Kreis gehörten. Doch die Apostel waren zum Großteil verheiratet, wurden von ihren Frauen begleitet (I. Cor. 9, 5); die am nächsten liegende Deutung ist, das Andronikos das Apostelamt innehatte und seine Frau Junia, die auch selber «nobilis» war, deshalb selbstverständlich in diesem Kreis zugegen war.
Noch einiges ist von C.S. über Junia zu erfahren: daß sie „dem ältesten Kreis der Apostel/innen aus Jerusalem angehörte (Gal. 1,17-19)“, „die Kreuzesnachfolge am eigenen Leib erfuhr“. Dem Neuen Testament entnehmen läßt sich all das fast ebensowenig wie Junias Apostelamt.
Drei dubiose bis nichtssagende Belege also. Was nun steht dem gegenüber?
Viermal werden im Neuen Testament die zwölf (Matth. 10, 2-4; Marc. 3, 16-19; Luc. 6,14-16) oder dann elf (Act. 1, 13) Apostel aufgezählt: es sind ausschließlich Männer. In der Apostelgeschichte wird dann (1, 21) von der Wahl des Nachfolgers für Judas Iskarioth berichtet: auf Weisung des Petrus sollte das «tôn synelthónton hemîn andrôn – von den Männern, die mit uns zusammen waren,» einer werden. Zwei Männer, Joseph Barsabbas und Matthias, wurden ausgewählt (v. 23), einer davon durch Los bestimmt (v. 26).
Außer der zwölf Apostel werden einige weitere Männer im Neuen Testament Apostel genannt. Vor allem sind das Barnabas und Paulus (Act. 14, 14), die noch zum eigentlichen Apostelkreis gehören (I. Cor. 9, 5) – Paulus nennt sich «ethnôn apóstolos – Völker-, Heidenapostel» (Rom. 11,13). Anscheinend zählt noch Jakobus, der «Bruder des Herrn» (der Sohn einer Maria, die unterschieden ist von der Mutter des Herrn [Matth. 27,56; Marc. 15,40; vgl. Matth. 13,55; Marc. 6,3]) zu diesem Kreis: «héteron dè tôn apostólon ouk eîdon ei mè Iákobon tòn adelphòn toû kyríou» (Gal. 1, 19), schreibt Paulus – «keinen anderen der Apostel habe ich gesehen außer Jakobus, den Bruder des Herrn» (eine Ausdrucksweise freilich, die nicht ganz eindeutig ist). Alle waren Männer, auch daran zu erkennen, daß alle außer Paulus und Barnabas «adelphèn gynaîka», eine Schwester (Glaubensschwester) als Frau mit sich nahmen.
Schon zu Anfang der Apostelgeschichte nennt Petrus das Apostelamt ein Bischofsamt: «episkopén» (1, 20); doch die «epískopoi» des Neuen Testaments sind Priester, wie es sich im Titusbrief (vgl. 1, 7 – 1, 5) deutlich zeigt. Auch heute noch kennen einige Ostkirchen den Ausdruck «Chorbischöfe», also Landesbischöfe, für höhere Geistliche ohne Bischofsweihe. Bischöfe in der späteren Bedeutung des Wortes aber sind Timotheus und Titus, denen Paulus Anweisungen gibt für die Priester- und Diakonenweihe (I. Tim. 5, 22; 3, 2 ff.; Tit. 1, 5 ff.; I. Tim. 3, 12 f.). Bischöfe in der späteren Bedeutung des Wortes mögen auch die sein, die «apóstoloi ekklesiôn» (II. Cor. 8, 23) genannt werden, «Apostel von Kirchen»; zu diesen zu zählen ist der Apostel Epaphroditus (Phil. 2, 25) und wohl auch der mit Junia verbundene Andronikus (Rom. 16, 7).
Die Apostel und Bischöfe des Neuen Testaments waren also, soweit Namen eindeutig bezeugt sind, Männer; ein Frauenname taucht nur an einer ganz unklaren Stelle auf.
Die «epískopoi» (I. Tim. 3, 2), die Priester (Tit. 1, 6) des Neuen Testamentes durften ein jeder nur «miâs gynaikòs anér», mit einer einzigen Frau verheiratet sein oder gewesen sein. Diese Aussage kann sich nur auf Männer beziehen; wären für Paulus weibliche Priester oder gar Bischöfe denkbar gewesen, so hätte er für sie eine entsprechende Anweisung geben müssen, etwa «henòs andròs gyné – eines einzigen Mannes Frau», wie er es für die eingetragenen Witwen fordert (I. Tim. 5, 9). Somit ist laut Paulus die Priesterweihe auf Männer beschränkt. A fortiori muß diese Beschränkung auch für die Bischofsweihe gelten. «Apostelinnen» sind also ausgeschlossen.

Argumente aus der Tradition

Zuvor die Frage: gab es in der alten Kirche eine Ordination von Frauen zu den höheren Weiheämtern? Hier ist zu unterscheiden zwischen einer intendierten und einer gültigen Ordination. Es gab schon in der Märtyrerzeit Sekten, die die Ordnung der Kirche ignorierten – hier sind besonders einschlägig die Montanisten und verschiedene Gnostiker. Eine Frau in einem Weiheamt wäre nur bedeutsam, wenn sie nicht zu einer solchen Sekte gehörte und darüber hinaus von der Kirche in diesem Amt akzeptiert wäre (und nicht etwa nur von einer kleinen schismatischen Gruppe – solche Fälle gibt es durchaus, gerade auch in der neuesten Kirchengeschichte).
Statt aber jeweils diese Akzeptanz durch die Kirche zu überprüfen, argumentiert C.S. umgekehrt: Von der Synode von Laodicea sagt sie: „Canon 44 verbietet den Frauen erstmals den Zutritt zum Altarraum, was den Umkehrschluss nahe legt, dass dies bis dahin allgemein üblich war.“ Demnach würde jedes Verbot nicht etwa einen ephemeren Mißbrauch bezeugen (infolge des Versuchs etwa, Gnostiker oder Montanisten wieder zu integrieren), sondern älteren Brauch, der dann auch noch den Anschein der Legitimität hätte – eine Argumentationsweise, die mit echtem Traditionsverständnis unvereinbar ist.
Bei den von C.S. angeführten Belegen ist zu beachten, daß es den strengen Zölibat der lateinischen Kirche, wie er sich seit dem Hochmittelalter durchgesetzt hat, in dieser Form im I. Jahrtausend noch nicht gab. Es gab Frauen von Diakonen, Priestern (denen im Westen freilich der eheliche Verkehr nach der Weihe nicht mehr gestattet war); diese Frauen wurden oft als «diacona», «presbytera» bezeichnet. Ganz selten erscheinen auch die Bezeichnungen «episcopa» oder, eine barbarische Wortbildung, «sacerdota».
Die Traditionsbelege, die sie liefert, folgen dem Muster der Schriftbelege: die wenigen unklaren literarischen und epigraphischen Belege sind sorgsam gesammelt, während die vielen klaren gegenteiligen Belege beiseite gelassen werden. Es gibt die Namen von Konzilsteilnehmern, von Diözesanbischöfen, von Priestern, die eine bestimmte Funktion in Kapiteln und Pfarreien innehatten – keinen solchen Beleg bringt sie. Es gibt kirchliche Ordnungen; seit den genannten Anordnungen der Apostel in der Apostelgeschichte gibt es da Stellen, an denen von Männern als Kandidaten die Rede ist: keinen Beleg weiß C.S. anzuführen, wo Frauen als mögliche Kandidaten erscheinen. Seit den Pastoralbriefen gibt es Äußerungen über die Frau, die der Kandidat haben oder nicht haben darf, später auch über das mögliche Eheleben mit ihr: keinen Beleg weiß C.S. anzuführen, wo von der Ehe von Hierarchinnen mit ihren Männern die Rede wäre.
Nun zu ihren Belegen: sie werden kaum je zitiert; das Werk, dem sie entstammen, wird gern nur ganz ungenau bezeichnet, bei umfangreicheren Werken fehlt die Angabe, wo nun die bezeichnete Stelle zu finden sei; moderne Editionen werden nicht genannt. Ein Beispiel: im Kapitel „Frauen als Amtsträgerinnen“/„Presbyterinnen“ ist zu lesen: „Auch im klösterlichen Kontext bestand dieser Konflikt um den sacerdotalen Dienst von Frauen. Davon zeugt etwa der Bericht der Bischöfe an Kaiser Ludwig d. Frommen (829). Frauen beanspruchten diesen sacerdotalen Dienst und wurden darin auch von Bischöfen und Gemeinden anerkannt.“ Es bedürfte einiger Recherchearbeit, den gemeinten Text ausfindig zu machen und auszuwerten.
Die Auswertungen der Autorin sind oft recht phantasievoll: im Kapitel „Frauen als Amtsträgerinnen“/„Bischöfinnen“ ist zu lesen: „An der Wende zum 6. Jh. entstand in Italien/Umbrien ein Grabgedicht, das einer femina episcopa (Frau Bischof) gewidmet ist.25 Der Name dieser Frau ist nicht erhalten geblieben, und die bisherige Forschung hat sich stets bemüht, sie als Frau eines Bischofs zu deuten. Dagegen spricht allerdings der Inhalt des Gedichtes, der von solcher Hochschätzung zeugt, wie sie sonst nur Klerikerinnen gegenüber zum Ausdruck kam.“ Zur Bewertung solch eines Arguments bedenke man, mit welcher Hochschätzung die Kirche von der Gottesmutter spricht, die jedenfalls keine Amtsträgerin war. Immerhin gibt es hier in der Fußnote einen Verweis auf einen anderen Aufsatz: „Zum Folgenden vgl. Eisen, 193-209“, wobei es sich um „Ute E. Eisen: Amtsträgerinnen im frühen Christentum. Epigraphische und literarische Studien, Göttingen 1996 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 61)“ handelt – man darf hoffen, daß dort die genaue Quelle genannt und das Gedicht zitiert ist.
Ein typisches Beispiel für C.S.s Argumentation bietet das Kapitel „Frauen als Amtsträgerinnen“/„Presbyterinnen“. Es beginnt: „Presbyterinnen hatten Gemeindeleitungsfunktionen, sie wirkten als Vorsteherinnen in den Gemeinden.22 Konkret könnte das bedeutet haben, dass Presbyterinnen (ähnlich wie Presbyter) die gottesdienstliche Versammlung geleitet als auch der Eucharistiefeier vorgestanden haben. Man kann annehmen, dass sie zum sich bildenden sog. »höheren Klerus« gehörten, der durch Handauflegung, also durch Ordination, zum Dienst am Altar autorisiert wurde. Dies zeugt von einer umfassenden kirchenamtlichen, priesterlichen Kompetenz von Frauen in der Alten Kirche, die als Presbyterinnen den Gemeinden vorstanden, Weisungsbefugnis hatten und sakramentale und liturgische Funktionen wahrnahmen“ (die Fußnote verweist wieder auf den Aufsatz von Ute E. Eisen). Also: „.. könnte das bedeutet haben, dass ...“, „Man kann annehmen, dass ...“ – und dann plötzlich: „Dies zeugt von ...“. Diese so erfundene Gewißheit führt einige Absätze später zu Vorwürfen gegen die Kirche des 5. Jahrhunderts: „Allerdings hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt die Verweigerung der Handauflegung bei ihrer Einsetzung durchgesetzt. Diese Maßnahme diente dazu, die Presbyterin vom höheren Klerus auszuschließen und ihre gemeindlichen Kompetenzen einzuschränken.“ Natürlich findet sich dabei keinerlei Beleg für solche „gemeindlichen Kompetenzen“.
Könnte es auch anders gewesen sein? Noch im selben Kapitel schreibt C.S. über wirkliche Aufgaben von Presbyterinnen: „Zwei Presbyterinnen aus Dalmatien wirkten im 5./6. Jh. Flavia Vitalia aus Salona war zuständig für das Friedhofswesen, das im 5. Jh. von kirchlichen Amtsträgern verwaltet wurde.“ Könnten mit Presbyterinnen nicht etwa Ehefrauen von Priestern gemeint gewesen sein, die wie später protestantische Pfarrfrauen Aufgaben in den Pfarreien übernahmen?

Eine geheimnisvolle «Episcopa»

Einen beachtenswerten Fall stellt allerdings «Theodora episcopa» dar, die Mutter des Papstes Paschalis, die er mit dieser Inschrift in der Zeno-Kapelle von Santa Prassede in Rom im Mosaik darstellen ließ. Ihr viereckiger Nimbus bezeugt, daß sie damals noch lebte.
Nun war Paschalis” Vater, Bonosus4, kein Bischof; in diesem Sinne war also Theodora keine «episcopa», sofern man nicht mutmaßen will, sie sei vor der Ehe mit Bonosus Witwe eines Bischofs gewesen. Daraus zieht C.S. nun den Schluß, Theodora müßte selber das Bischofsamt innegehabt haben. Wie wahrscheinlich aber ist dieser Schluß? Theodora lebte im IX. Jahrhundert; aus dieser Zeit und den vorangehenden Jahrhunderten gibt es viele klare Belege für die Namen von Bischöfen, für kirchliche Ordnungen – keiner davon läßt den Schluß zu, daß eine Frau in diesem Amt denkbar sei. So muß die Frage gestellt werden, ob diese «episcopa» nicht anders zu verstehen ist.
Die Antwort fällt leicht: «episcopa» war kein Titel, sondern eine unbestimmte Bezeichnung, die, analog zu «diacona» und «presbytera», gelegentlich für die Frau eines Bischofs verwendet worden sein könnte. Doch in dieser Zeit waren Bischöfe schon längst normalerweise nicht mehr verheiratet; und selbst der einzige andere bekannte Beleg für das Wort «episcopa», eine Inschrift aus Terni, heute in S. Paolo fuori le mura, könnte eher als auf die Frau eines Bischofs die Mutter eines Papstes – Siricius – bezeichnen5.
Papst Paschalis wird geschildert als „wegen seiner parteiischen und schroffen Regierung unbeliebt“6 – die Annahme liegt nahe, daß dieser Mann die halbvergessene Bezeichnung «episcopa» für seine Mutter reaktiviert hat.

Das Testamentum Domini

Zweimal ist einmal eine Quelle angeführt, die wenn auch nur ungenau bezeichnet, dennoch eindeutig erkennbar ist – im Kapitel „Frauen als Amtsträgerinnen“/„Eingesetzte Witwen“: „Noch im 5. Jh. lässt sich anhand einer Kirchenordnung, dem sog. »Testamentum Domini«, nachweisen, dass die Witwen ordiniert wurden und zum höheren Klerus zählten“; im Kapitel „Frauen als Amtsträgerinnen“/„Presbyterinnen“: „Noch im 5. Jh. belegt eine wahrscheinlich in Ägypten entstandene Kirchenordnung (Testamentum Domini) die Existenz von Presbyterinnen innerhalb der Gemeindehierarchie. Allerdings hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt die Verweigerung der Handauflegung bei ihrer Einsetzung durchgesetzt. Diese Maßnahme diente dazu, die Presbyterin vom höheren Klerus auszuschließen und ihre gemeindlichen Kompetenzen einzuschränken.“ Das «Testamentum Domini nostri Jesu Christi» wurde von Patriarch I.E. Rahmani in der syrischen Textfassung mit lateinischer Übersetzung ediert (Mainz 1899)7; Abweichungen in der äthiopischen und der kopto-arabischen Textfassung sind im Apparat notiert. Die Stelle, an der die von C.S. genannten „Priesterinnen“ (qaššišatha? kahªnatha?) zu finden sind, wird von ihr nicht angegeben; im Abschnitt über die Messe (Liber I., XXIII.), in dem die Hierarchie der Kirche wiederholt aufgelistet erscheint, tauchen solche nicht auf. Doch an anderen Stellen zeigt sich, daß es sie gar nicht geben kann: für den zu wählenden Bischof einerseits wird gewünscht, daß er «ohne Ehefrau sei», andernfalls gilt die paulinische Forderung, daß er «der Mann einer einzigen Ehefrau sei» (Liber I., XX.); andererseits darf auch der Diakon nur Mann einer einzigen Frau sein (Liber I., XXXIII.). Wenn folglich Bischöfe und Diakone nur Männer sein können, wird schwerlich für den Priester anderes gelten. Gesagt wird über ihn allerdings nur, daß er für die Waisen da ist wie ein Vater (Liber I., XXIX.), was an einen Mann denken läßt, ihn aber nicht eindeutig fordert.
Klarheit schafft eine andere Stelle (Liber I., XXIII.): Wenn der Bischof des Nachts einen Samenerguß gehabt hat, so darf er weder das Opfer darbringen noch kommunizieren; das gleiche gilt für den Priester. Ebenso ist eine Witwe von der Kommunion ausgeschlossen, wenn sie menstruiert. Das gilt auch für jede andere Frau, jeden anderen Mann. Daraus folgt wiederum, daß Bischof und Priester nur Männer sein können.
Nebenbei zeigt sich hier noch anderes Bemerkenswertes. Ausdrücklich heißt es, das diese Verbote nicht etwa gelten, weil der Bischof befleckt sei, sondern um der Ehre des Altares willen. Er kann sich wieder reinigen durch Fasten und Waschen mit reinem Wasser – offenbar in der Nachfolge der jüdischen Miqva; ebenso ist es für alle anderen, Klerus und Laien.
Für die Laien wird hinzugefügt, daß auch die nicht kommunizieren dürfen, die miteinander geschlafen haben – daß dieses Verbot nur für die Laien erwähnt wird, zeigt, daß hier von der sexuellen Enthaltsamkeit von Bischöfen und Priestern (zumindest in der Zeit vor der Messe) selbstverständlich ausgegangen wird.
Im Kapitel „Frauen als Amtsträgerinnen“/„Diakoninnen“ zeigt sich, daß C.S. ihre Quellen nicht sehr eingehend studiert hat. Dort steht: „Der Begriff Kanonike wird im 4. Jh. zum Titel. Man vermutet, dass damit ein Stand von Jungfrauen oder Witwen gemeint war, der auch gemeindliche Aufgaben wie z.B. im Begräbniswesen innehatte. Im Spätmittelalter sind noch die sog. »Kanonissen« belegt.“
Kanonissen sind eine mittelalterliche Einrichtung. Als sich Kanonikerorden wie die Augustiner gebildet hatten, machte man sich, vor allem in Mitteleuropa, daran, auch weibliche Zweige dieser Orden zu gründen, wobei nicht nur geistliche Motive eine Rolle spielten, sondern auch die Unterbringung überschüssiger Töchter adliger Familien. Diese Ordensfrauen wurden Kanonissen genannt.
Was eine «Kanonike» ist, zeigt aber ganz deutlich das Testamentum Domini: dort werden im Klerus nach den Diakonen kanonische Witwen aufgezählt – armªlatha qanonjatha, ins Griechische rückübersetzt chérai kanonokaí; Rahmani übersetzt sie mit «viduis canonicis». Es handelt sich um die eingetragenen Witwen – I. Tim. 5, 9: «Chéra katalegéstho mè élatton etôn hexékonta gegonyîa – keine Witwe werde eingetragen, die weniger als sechzig Jahre alt ist.»
Dabei zeigt sich, das die paulinische Altersgrenze für die eingetragenen Witwen hier nicht mehr beachtet wurde; offenbar fürchtete man nicht mehr, daß jüngere Frauen der Genußsucht anheimfallen könnten (I. Tim. 5, 11 f.).

Der Diakonat von Frauen 

Als es soziale Schwierigkeiten in der Jerusalemer Urkirche gab, ordneten die Apostel an: «episképsasthe dé, adelphoí, ándras ex hymôn martyrouménous heptá – schaut aus, Brüder, nach sieben wohlbeleumdeten Männern unter euch» (Act. 6, 3); sieben Männer wurden ausgewählt, ihre Namen werden aufgezählt, sie werden unter Gebet durch Handauflegung geweiht (6, 5 f.). Ihr Amt wurde in der Folge Diakonat genannt; im Syrischen werden sie «mªšammªšane» genannt, ebenso wie im Evangelientext der Synagogendiener (Luc. 4, 20) – noch heute ist die Kurzform «Schammasch» in der Synagoge bekannt.
«Diákonoi éstosan miâs gynaikòs ándres» (I. Tim. 3, 12) – so wie die Priester durften auch die Diakone ein jeder nur mit einer einzigen Frau verheiratet sein oder gewesen sein. Wiederum kann sich diese Aussage nur auf Männer beziehen; somit ist laut Paulus die Diakonenweihe ebenso wie die Priesterweihe auf Männer beschränkt.
Sucht man nun im Neuen Testament nach den Namen weiterer Diakone, so erlebt man etwas Verwirrendes: man findet zwei Männer, Tychicus (Eph. 6, 21; Col. 4, 7) und Epaphras (Col. 1, 7), und Phoebe (Rom. 16, 1), eine Frau. «Diákonos» ist im Neuen Testament kein eindeutiges Wort, es kann auch allgemein «Diener» oder «Dienerin» bedeuten; Phoebe nennt Paulus jedoch recht eindeutig «diákonon tês ekklesías tês en Kenchreaîs» – Diakonin der Kirche in Cenchreae».
Scheinbar unvereinbare Tatsachen – doch das Testamentum Domini hilft, den Widerspruch aufzulösen. Hier erscheinen Diakone und Diakoninnen (mªšammªšanjatha – Rahmani gebraucht die Übersetzung «diaconissae»).
Für die Diakone übernimmt, wie schon erwähnt, das Testamentum Domini (Liber I., XXXIII.) die Forderung des Paulus, der Diakon dürfe nur Mann einer einzigen Frau sein.
Im Abschnitt über die Messe (Liber I., XXIII.) zeigt sich die Hierarchie der Kirche deutlich: der Bischof bringt das Opfer dar, steht daher in der Mitte. Unmittelbar hinter ihm stehen zu beiden Seiten die Priester; hinter ihnen stehen links die kanonischen Witwen, rechts die Diakone. Hinter ihnen stehen die Lektoren, dahinter die Subdiakone, dann folgen die Diakoninnen. Die Diakoninnen sind also nicht inbegriffen in der Zahl der Diakone, sondern stehen weit hinter ihnen.
Bestätigt wird diese Ordnung, wo der Zutritt zur Kommunion dargestellt wird: «der Bischof, die Priester, die Diakone, die Witwen, die Lektoren, die Subdiakone, dann die, die Gnadengaben haben, die, die neu getauft sind, die Kinder. Das Volk folgendermaßen: ... die Frauen: die Diakoninnen, dann die übrigen.» Die Diakoninnen gehören hier, anders als die Diakone und die Witwen, zum Volk, zu den Laien.
Diakoninnen gibt es bis heute in der syrisch-antiochenischen Kirche; dort wird überliefert, dieses Amt sei vom heiligen Ephraem eingeführt worden. Doch diese Diakoninnen übernehmen keineswegs Dienste der Diakone, sondern sie singen, sie bilden die Schola.
diaconissae

In der syrisch-antiochenischen Kirche
der Gottesgebärerin Maria und der heiligen Schmuni in Harburg

Also gab es und gibt seit der Urkirche einen Diakonat von Frauen. Doch war dieser ein anderes Amt als der Diakonat der Männer, wie schon die Apostelgeschichte und Paulus und bis heute die syrisch-antiochenische Überlieferung zeigen. Darum könnte auch die lateinische Kirche wohl den Diakonat der Frauen wieder einführen; doch solche Diakoninnen oder Diakonissen wären eben keine Diakone, sie könnten natürlich weder das Evangelium verlesen noch predigen, nicht das Praeconium paschale vortragen noch, außer in ganz besonderen Notlagen, die Kommunion austeilen.

Résumé

Einige unklare Belege sind sorgsam gesammelt und oft recht phantasievoll ausgewertet, während die vielen klaren gegenteiligen Belege beiseite gelassen werden.
Auch die – scheinbaren – Belege werden selten zitiert; und die Verweise sind oft nur ganz ungenau, moderne Editionen werden nicht genannt. Wo einmal das Werk deutlich identifizierbar und allgemein zugänglich ist, ist dort anderes zu finden, als von C.S. vorgegeben wird.
Zudem ist für ihre Argumentation noch das Prinzip vorausgesetzt, daß das, was von der Kirche irgendwann verboten wurde, demzufolge „bis dahin allgemein üblich“ gewesen wäre; die Denkmöglichkeit, daß es, besonders im IV. und V. Jahrhundert, als in großer Zahl Heiden sich zum Christentum bekehrten und Angehörige einschlägiger Sekten in die Kirche zurückkehrten, als sogar einmal ein bekennender Neuplatoniker, Synesios, Bischof von Cyrene werden konnte, gelegentliche Abnormitäten geben konnte, gegen die die Kirche dann einschritt, wird somit ausgeschlossen.
Ignorieren zahlreicher klarer Belege, oft phantasievolle Auswertung weniger – und gern sehr ungenau zitierter – unklarer Belege, dazu ein wenig glaubhaftes Interpretationsprinzip: das ist die Argumentationsweise, die nötig ist, eine «Frauenordination» in der alten Kirche zu insinuieren.
Lange bevor ich diesen Text der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe, am 18. August 2011, hatte ich ihn dem Vorsitzenden und der Geschäftsstelle des Herausgebers, des Pfarrerverbandes, «als eine Art erweiterten Leserbrief» bekannt gemacht. Bisher habe ich auf mein Schreiben keine Reaktion erhalten.

1 Ulrich Terlinden: Das Priestertum der Christen – das Priesteramt in der Kirche. E&E 8 (2003), S. 33-40.
2 Natürlich müßte es – méter! – «Metriarchat» heißen, ebenso wie es «Metropole» heißt; aber da es das nie gegeben hat, ist es auch nicht notwendig, eine sprachlich richtige Bezeichnung dafür einzufordern.
3 Nach der Reichsmatrikel von 1521 und der Zusammenstellung von Christian August Beck für Erzherzog Joseph von 1755; zitiert nach: Gerhard Oestreich: Verfassungsgeschichte vom Ende des Mittelalters bis zum Ende des alten Reiches. (Gebhardt: Handbuch der deutschen Geschichte. Band 11) Stuttgart 1970/dtv WR 4211, München 1974.
4 Seinen Namen fügt das von einem protestantischen Pfarrer, Joachim Schäfer, ins Netz gestellte «Ökumenische Heiligenlexikon» hinzu, das die gleiche wenig ökumenische Sicht verficht.
5 William Tabbernee: Epigraphy. Chapter 6 in: Susan Ashbrook Harvey & David Hunter (ed.): The Oxford Handbook of Early Christian Studies, Oxford 2008, p. 134.
6 Ökumenisches Heiligenlexikon (s.o.).

Orietur Occidens